Max Bruchs Lied von der Glocke

Vertonte "Bibel des Kleinbürgers"

Max Bruch bezeichnete sein weltliches Oratorium über Friedrich Schillers Ballade "Das Lied von der Glocke" als 'das beste Werk seines Lebens'.

Glockengeläut / © Andreas Dziewior
Glockengeläut / © Andreas Dziewior

Die Älteren mussten es noch in der Schule auswendig lernen: Friedrich Schillers "Lied von der Glocke", jenes Gedicht, das den Vorgang eines Glockengusses beschreibt und dabei mit verschiedenen Stationen im Leben der Menschen in Verbindung bringt. Schiller schrieb sein Gedicht 1799 auch unter den Eindrücken der Auswirkungen der Französischen Revolution, was sich in der detaillierten Beschreibung des bürgerlichen Lebens niederschlägt. Der Text dieser Ballade ist einige Male vertont worden. Der gebürtig aus Köln stammende Komponist und Dirigent Max Bruch vollendete seine Vertonung im Jahr 1878. Damals herrschte in der Musikwelt ein erbitterter Streit zwischen Anhängern des Oratoriums und denen, die die szenische Darstellung von Werken als Oper bevorzugten. So kam es, dass auch weltliche Inhalte zum Gegenstand von Oratorien wurden. Bruchs "Lied von der Glocke" für Chor, Soli, Orchester und Orgel kann man als ein solches weltliches Oratorium bezeichnen. Es wird auch die vertonte "Bibel der Kleinbürger" genannt. Der Komponist identifizierte sich stark mit diesem Werk, widmete es dem großen Dichter Friedrich Schiller und bezeichnete es als 'das beste Werk seines Lebens‘. Dementsprechend nannte er frühere Vertonungen von Schillers Ballade wie die von Andreas Romberg (1808) Schöpfungen "kleiner Leute" und empfand die von Bernhard Scholz aus dem Jahr 1887 als direkten Angriff auf seine Person.

Schiller hat seinem "Lied von der Glocke" die lateinische Inschrift "Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango" vorangestellt. - "Ich rufe die Lebenden, beklage die Toten, breche die Blitze". Max Bruch macht daraus einen chorischen Eröffnungssatz, der mit einem Unisono aus Männerstimmen und Bläsern beginnt. "Der ersten Liebe goldne Zeit" lässt Max Bruch mit einem Tenor-Solo beginnen, in das bald das Quartett und der Chor einstimmen. "O dass sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe" - Eingebettet in der Zeit der Romantik entsprechenden Harmonien vermag diese Passage Filmmusikcharakter zu vermitteln. Effektvoll gestaltet Max Bruch auch die unterschiedlichen Tugenden und Aufgaben von Mann und Frau: Während die Männerstimmen mit kriegerischen Chören das "Wirken und Streben" beschwören, bringen die Frauenstimmen mit dem 'weisen Herrschen im häuslichen Kreise' die Sanftheit und Ruhe zurück.

"Heil‘ge Ordnung, segensreiche Himmelstochter" rezitiert zunächst der Sopran und leitet die Musik zu einem fulminanten Chor über, der in komplexer Vielstimmigkeit von der Liebe zum Vaterland singt. Im Oberstimmen-Terzett "Holder Friede, süße Eintracht" unterstreicht Max Bruch den Inhalt mit eindringlichen und weit ausholenden melodischen Linien. Das Orchester verstärkt diese Stimmung mit einer Reminiszenz des Weihnachtsliedes "Stille Nacht, heilige Nacht".

CD-Tipp:

Max Bruch: Das Lied von der Glocke op. 45 für Chor, vier Solostimmen, Orchester und Orgel

Ausführende:

Ute Selbig (Sopran), Elisabeth Graf (Alt), Matthias Bleidorn (Tenor), André Eckert (Bass), Singakademie Dresden, Mitglieder des Staatsopernchores der Sächsischen Staatsoper Dresden, Dresdner Philharmonie

Leitung: Hans-Christoph Rademann

Erschienen bei Thorofon Classics

 

(Erstsendedatum: 05.07.2015, Wiederholung 26.06.2016)