Janáčeks Glagolitische Messe in der Vorstellung

Grandioses Alterswerk

Diese Messvertonung erklang wohl noch nie im Gottesdienst: Leoš Janáčeks Glagolitische Messe aus dem Jahr 1926. Zwei Jahre vor seinem Lebensende wandte sich Janáček wieder seinen unvollendeten Skizzen einer ganz normalen lateinischen Messe aus den Jahren 1907 und 1908 zu und verwandelte sie zu etwas gänzlich Neuem.

Leuchtende Kerze neben einer Bibel (KNA)
Leuchtende Kerze neben einer Bibel / ( KNA )

Dabei war seine wichtigste Entscheidung, seinem Nationalgefühl entsprechend den lateinischen Text durch die altslawische Kirchensprache zu ersetzen, das sogenannte Glagolitische.

Als ein Komponist, der es sich besonders in seinen Opern zur Aufgabe gemacht hatte, die Gesangslinien völlig der Sprechmelodie des Tschechischen anzupassen, die er ständig den Menschen auf der Straße ablauschte und in ein Notizbuch übertrug, folgt er auch in der Messe diesem Prinzip.

Der aus Mähren stammende Komponist lebte von 1854 bis 1928. Die Messe ist also ein Alterswerk. Aber nicht nur die Sprache und die daraus abgeleitete Rhythmik ist ungewöhnlich, sondern auch der Anteil an rein orchestralen oder instrumentalen Passagen. Zumindest in der ursprünglichen Version, die erst in den Neunzigerjahren von dem australischen Dirigenten Charles Mackerras rekonstruiert werden konnte, wird die Messe doppelt gerahmt: Den äußeren Rahmen bildet eine orchestrale, stark bläserlastige  Intrada, die am Schluss noch einmal erklingt Den inneren Rahmen bildet  eine "Uvod" überschriebene, streicherdominierte  "Einleitung" als zweiter Satz der Messe und als vorletzter Satz der Messe ein Orgel-Solo.

Trotz der ungewöhnlichen Konzeption: Die Glagolitische Messe ist kein vordergründiges Konzertwerk, sondern eine äußerst ernsthafte persönliche Auseinandersetzung mit den liturgischen Texten der Messfeier. Die Rahmung verdeutlicht sowohl Festlichkeit als auch die Stimme der vor Gott stehenden Menschen, von denen der Komponist einmal sagt: "In jedem Menschen ein Funke Gottes." IN ihr erkennt man die die typischen Stilmerkmale Janáčeks wieder. So zum einen die Verwendung von prägnanten melodischen Floskeln, die zum anderen weniger entfaltet, als ständig wiederholt werden, bis ein neuer Melodieteil auftaucht.

Unverkennbar dürfte der slawische Tonfall der Musik während der ganzen Vertonung sein. Im Kyrie nutzt Janáček ihn, um sich in die lange Tradition der Kirchenmusik einzureihen, die das "Herr, erbarme dich" weniger im ursprünglichen Sinn als jubelnden Zuruf gegenüber dem in seiner Gemeinde gegenwärtigen Christus zu verstehen, sondern im wörtlichen Sinn als Flehruf um die erbarmende Zuwendung des Herrn.

Der Höhepunkt der wirklich geistlichen Komposition ist das Credo. Anders als man erwarten könnte, beginnt das Glaubensbekenntnis nicht mit großer Sicherheit und Emphase, sondern einem zweimal wiederholten "Veruju" "Ich glaube", das zwar stark beginnt, aber sofort zurückgenommen wird. Janáček komponiert sozusagen sofort die Nichtselbstverständlichkeit des Glaubens, den Glaubenszweifel mit hinein, von dem es im Markusevangelium einmal heißt: "Herr, ich glaube. Hilf meinem Unglauben" (Mk 9,23). Der Glaubensinhalt selbst hingegen wird eher sicher, fast fröhlich, auf jeden Fall lebhaft entsprechend dem Thema des Leben schaffenden Schöpfergottes präsentiert.

Auffällig am Credo der Glagolitischen Messe von Leoš Janáček:  Das den Worten "Ich glaube" entsprechende kirchenslawische "Veruju" wird als Refrain behandelt, und zwar nicht nur am Beginn, des Credo, sondern durchgängig.

Die eigentliche Besonderheit des Credo liegt allerdings in der Vertonung des christologischen Bekenntnisteils. Rufen wir ihn uns in Erinnerung: Nach einer ausführlichen Passage über das Wesen des Gottessohnes  - "Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott" - beginnt der biographische Teil mit dem Hinweis auf die Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria, um sofort hinüberzuspringen in die Passion: "Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus". Wie selbstverständlich sprechen Christen in dieser Abfolge sonntäglich das Glaubensbekenntnis. Vielleicht muss erst ein eher Kirchenferner, aber keineswegs Ungläubiger wie Janáček kommen, um auf die Gewaltigkeit des Sprungs aufmerksam zu machen. Man darf doch einmal fragen: Und was ist mit dem Leben des irdischen Jesus dazwischen, von dem die Evangelien berichten?

Janáček geht kreativ mit der Lücke um. Er komponiert sie, da ja kein Text im Credo dazu vorliegt, mit rein instrumentalen Mitteln aus. Er erzählt die Geschichte Jesu von der friedlichen Verkündigung am Ufer des Sees Genesaret, die aber offensichtlich nach und nach zum Anlass von Konflikten wird, bis sie schließlich in das Drama der Passion Jesu führt. Um die zunehmende Katastrophe wirklich spürbar werden zu lassen, setzt er Kesselpauken und Orgel ein. Zielpunkt der musikalischen Steigerung ist das vom Chor fast hineingeschrieene: "Er erlitt den Kreuzestod - und wurde begraben für uns". Man sollte nicht vermuten, was man mit schlichten Terzen, die Alt und Bass allerdings in komplizierten Sprachrhythmen singen, für eine beklemmende Wirkung erzielen kann. Natürlich macht sich der Meister auch erprobte Mittel aus Opern wie "Jenufa" und "Katja Kabanova" zunutze. Vielleicht vermag schon dieser Teil des  Zwischenspiels aus Janáčeks  Credo innerhalb der Glagolitischen Messe etwas vom der "Theodramatik",  dem Gottesdrama - wie es ein Theologe einmal nannte - zu verspüren, dass sich hinter den so nüchternen Sätzen des Glaubensbekenntnisses verbirgt.

Anders als in Tschechien, dem Heimatland Janáčeks, fristet die Glagolitische Messe bei uns eher nur ein Schallplatten- bzw. CD-Dasein. Sprache und musikalische Anforderungen an alle Beteiligten stehen einer Integration in den Sonntagsgottesdienst eher im Weg. In Konzertsälen stört - im Gegensatz zu einem Requiem oder Te Deum - bei einer Messe vermutlich eher der trotz allem enge liturgische Bezug.  Als geistliches Konzert wäre aber die Glagolitische Messe von Leoš Janáček in jedem Fall eine Entdeckung wert.

Text: Dr. Gunther Fleischer

(Erstausstrahlung: 30.08.2015, Wiederholung: 21.08.2016)