Debatte nach dem Urteil zugunsten von Magnus Gäfgen

Auch Mördern bleibt ihre Würde

In der Debatte um die Grenzen des Rechtsstaats weist Paulus Terwitte die Kritik an dem Frankfurter Richterspruch zurück. Der Kapuziner-Pater erinnert im domradio.de-Interview an die von Gott gegebene Würde jedes Menschen.

 (DR)

domradio.de: Macht Sie das Urteil des Gerichts wütend?

Terwitte: Nein, es macht mich gar nicht wütend. Ich bin froh, dass unser Rechtsstaat nicht primitivem Verlangen nach Vergeltung oder besonderer Bestrafung nachkommt. Sondern wir haben rechtsstaatliche Prinzipien, die eingehalten werden müssen - auch wenn man menschlich in totale Wut gerät.



domradio.de: Also darf es unter solchen extremen Umständen keine Aufweichung des Folterverbots geben?

Terwitte: Nein, darf es überhaupt nicht geben. Wir dürfen einfach nicht die Würde auch des Schuldigen nicht beschädigen. Kein Mensch kann etwas tun und seine Würde dadurch beschädigen. Jeder hat sie, weil sie ihm von Gott gegeben ist. Und unser Rechtsstaat sieht das. Deshalb ist auch der Mörder auch einer, der eine Würde behält und mit dem wir menschlich umgehen müssen. Das Wort des Evangeliums gilt hier besonders: Wer Dich auf die eine Wange haut, dem halte auch die andere hin, damit er da vielleicht zur Vernunft kommt.



domradio.de: Der Vizechef des Frankfurter Polizeipräsidiums hatte damals die Folter befohlen, um das entführte Kind zu retten. Diese Entscheidung hat auch sein Leben gezeichnet, er wurde zu einer Geldstrafe von 10800 Euro und einem Jahr Bewährungsstrafe verurteilt. Gehen hier juristisches Recht und moralisches Recht auseinander?

Terwitte: Moralisches Recht in dem Sinne gibt es nicht. Aber selbstverständlich wissen wir von der Katholischen Morallehre, dass wir im Gewissen zu Entscheidungen kommen können, die uns gegen das geltende Recht setzen. Und dann müssen wir die entsprechenden Konsequenzen tragen. Das war in diesem Fall wohl so, dass Herr Daschner entschieden hat mit seinem Gewissen: Ich muss jetzt so handeln. Er hat sich päter selber angezeigt bei der Staatsanwaltschaft, weil er gewusst hat, dass er gegen das geltende Recht verstoßen hat.



domradio.de: Wie können die Eltern des ermordeten Kindes mit einem solchen Urteil klar kommen?

Terwitte: Von der Entschädigung hat er nicht viel. Er muss noch die ganzen Prozesskosten tragen und hat darüber hinaus noch mehr Kosten. Die Eltern selber, das denke ich auch aus persönlichen Begegnungen mit ihnen, stehen auf dem Boden des Rechtsstaates. Sie haben kein Interesse daran - so groß ihr Schmerz auch ist -, ihrerseits den Boden des Rechtsstaates verlassen wollen. Wir leben Gott sei Dank in diesem Rechtsstaat. Da können wir es uns nicht erlauben, Menschen nach Gefühlslage zu verurteilen.



Das Gespräch mit Kapuziner-Bruder Paulus Terwitte führte Christian Schlegel.



Hintergrund: Politiker von Grünen und Linkspartei im Bundestag wiesen am Freitag (05.08.2011) die heftige Unionskritik an der Entschädigung für den Kindsmörder zurück, dem im Verhör Folter angedroht worden war. "In einem Rechtsstaat dürfen von der Polizei keine unlauteren, unsauberen Mittel angewendet werden", sagte der Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitagausgabe). Geschehe das dennoch, sei der Betroffene für das erlittene Unrecht zu entschädigen. "Insofern hat die Justiz konsequent und richtig gehandelt." Erika Steinbach, menschenrechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, sieht in dem Frankfurter Richterspruch eine Bedrohung für die demokratische Kultur und das Gerechtigkeitsempfinden der Deutschen.



Der Kindsmörder Gäfgen bekommt eine Entschädigung vom Land Hessen. Das Landgericht Frankfurt am Main sprach dem 36-Jährigen am Donnerstag  "wegen schwerer Verletzung der Menschenwürde" eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro plus Zinsen zu. Seine Klage auf Schmerzensgeld wies die Kammer jedoch ab. Der hessische Innenminister Rhein bezeichnete das Urteil als "nur schwer erträglich". Gäfgens Anwalt Heuchemer äußerte sich erfreut. Beide Seiten haben noch nicht entschieden, ob sie Berufung einlegen.