Svenja Flaßpöhler über ihr Buch 'Zur Welt kommen'

Eine Geburt ist ein Wunder

'Auch Erwachsene werden, indem sie Kinder bekommen, neu geboren', schreibt Svenja Flaßpöhler in ihrem Buch 'Zur Welt kommen', das die Philosophin und zweifache Mutter gemeinsam mit ihrem Mann Florian Werner verfasst hat.

Svenja Flaßpöhler / © Johanna Ruebel (Blessing)
Svenja Flaßpöhler / © Johanna Ruebel ( Blessing )

"Der Titel des Buches 'Zur Welt kommen' ist natürlich doppeldeutig gemeint", erklärt Flaßpöhler im DOMRADIO.DE Interview. "Es kommt jemand zur Welt, darin liegt die Doppeldeutigkeit. Nicht nur das Kind kommt zur Welt, sondern man selbst als Eltern kommt auch noch einmal auf eine ganz andere Weise zur Welt, wenn plötzlich ein Kind da ist". Wie das Leben sich ändert, wie der Mensch sich und seine Beziehung neu erfährt, auch darum geht es in dem Buch der zweifachen Eltern, der Philosophin Flaßpöhler und des Literaturwissenschaftlers Florian Werner.

Eine Geburt sei ein Wunder, sagt die Chefredakteurin des Philosophie Magazins: "Natürlich steckt in dem Vorgang des Zeugens und der Fruchtbarkeit und des Gebärens Metaphysik. Also nicht in dem Sinn, dass man es nicht biologisch erklären könnte, aber es bringt uns zum Staunen". Bein Wundern denke man immer an das Überirdische, aber es gebe ja auch innerweltliche Wunder, ist Flaßpöhler überzeugt. "Jeder, der bei der Geburt dabei war, ob als Mutter oder als Vater, wird diesen Vorgang als ein Wunder erlebt haben. Und überhaupt die Tatsache, dass ein Menschenwesen aus einem anderen Menschenwesen – oder aus zwei Menschenwesen entstehen kann, ich glaube niemand kann sich dieser Verzauberung entziehen".

Warum Kinder - wenn die Welt aus allen Nähten platzt?

Doch zur Verzauberung durch die Geburt eines Kindes kommt auch, dass danach ein ganz anderer Alltag auf Mutter und Vater zukommt. Ein Kind verändert die Beziehung entscheidend, sagt Flaßpöhler. "Es ist eine extreme Leistung, auch das familiäre Gleichgewicht hinzubekommen. Gerade dann natürlich wenn Kinder ins Spiel kommen, wenn ein Dritter ins Spiel kommt, der die ganze Partnerschaft noch einmal fundamental transformiert. Das erfordert ein hohes Maß ständiger Reflektion", meint die Autorin. Denn sonst könne die Partnerschaft daran scheitern.

Aber warum eigentlich Kinder kriegen? Die Welt platzt aus allen Nähten. Die Erde ist mit sieben Milliarden Menschen hoffnungslos überbevölkert. Warum muss man da mit eigenen Kindern zur Zerstörung des Planeten beitragen? Der biologische Impuls, Kinder bekommen zu wollen, sei urmenschlich, sagt die Philosophin, der könne und dürfe nicht reglementiert werden. Außerdem interessiere einen, wenn man Kinder bekomme, die Zukunft auf eine ganz andere Art und Weise, so Flaßpöhler. "Die Tatsache, dass unsere Tochter und unser Sohn eine Zeit erleben werden, die ich nicht mehr erleben werde, und eine Zeit erleben werden, von der heute gesagt wird, dass sie aufgrund des Klimawandels extrem ungemütlich sein kann – und ungemütlich ist da ein ungehöriger Euphemismus für das, was uns da erwartet – das bringt mich natürlich dazu, in meinem ganz konkreten und individuellen Leben meinen Lebensstil radikal zu hinterfragen".

Kinder als letzte Konstante im Leben

Kinder zu bekommen sei zudem in der zerfahrenen Welt eine Konstante und ein entscheidender Schritt in die Endgültigkeit des Lebens. "Die Beziehung zu den eigenen Kindern ist eigentlich die letzte unhintergehbare Konstante des modernen Menschens", ist Flaßpöhler überzeugt. "Ich kann mich von meinem Mann trennen, ich kann mein Geschlecht verändern, ich kann meinen Beruf wechseln, ich kann auswandern, aber meine Kinder bleiben immer meine Kinder. Ich werde mich nie aus dieser Verbindung lösen können – und das hat natürlich auch etwas Beängstigendes vielleicht, dass da etwas ist, was uns wirklich hält, aber es hat auch etwas ungeheuer Beruhigendes".

Man soll Kinder frei lassen

Kinder seien für Eltern auch ein Sinngenerator, beobachtet Flaßpöhler. Aber Achtung, irgendwann gehen die Kinder aus dem Haus und dann müssen die Eltern sie in die Freiheit entlassen. Auch das sei eine große Herausforderung, meint die Philosophin. "Unsere Kinder haben nicht darum gebeten, geboren zu werden, sondern wir haben uns entschieden, Kinder zu wollen. Insofern sollte die Erwartungshaltung an die eigenen Kinder sehr, sehr niedrig sein. Philosophisch gesehen können wir im Grunde genommen gar nichts von unseren Kindern erwarten. Unser höchstes Ziel kann es sein, dass die Kinder auf dieser Welt glücklich werden. Aber man sollte sie frei lassen".


Kinder (shutterstock)
Quelle:
DR