Matthias Hilbert über "Lebensgeschichten großer Zweifler"

Fromme Eltern - unfromme Kinder?

"Die einen haben den Glauben für sich neu entdeckt, die anderen sind Atheisten geworden". Matthias Hilbert hat die Lebenswege prominenter Frauen und Männer untersucht, die aus frommen Elternhäusern kommen. "Fromme Eltern – unfromme Kinder?" heißt sein Buch mit acht "Lebensgeschichten großer Zweifler".

Matthias Hilbert / © privat (privat)
Matthias Hilbert / © privat ( privat )

"Man setzt sich von anderen Elternhäusern ab, man erlebt eine andere Biografie als üblich, und das schafft schon einen besonderen Individualismus", erzählt Matthias Hilbert, der selbst aus einem Pastorenelternhaus kommt im domradio.de Interview. Fromme Elternhäuser haben große Individualisten hervor gebracht: Vincent van Gogh, Friedrich Engels, Gudrun Ensslin, Hermann Hesse oder auch den Schuhfabrikanten Heinz-Horst Deichmann. In seinem Buch erzählt Hilbert ihre Lebensgeschichten, die zeigen, dass es hier kein durchgehendes Schema F gibt. "Fromme Eltern – unfromme Kinder?", bewußt setzt Hilbert hinter dieser Gleichung ein Fragezeichen. Er portraitiert leidenschaftliche Atheisten, wie Friedrich Dürrenmatt oder Friedrich Engels, aber auch Suchende, wie den Schriftsteller Hermann Hesse, der sich fernöstlichen Religionen zuwandte. "Seine Eltern waren Missionare, aber er hat für sich einen anderen Weg gewählt", erzählt Hilbert, "er hat sich aus verschiedenen Religionen das zusammengebastelt, was seinen Interessen und seiner Veranlagung entsprach".

Geglücktes und gescheitertes Leben

Anders verlief die Biografie des Unternehmers Heinz-Horst Deichmann. Auch er war ein Sohn sehr frommer Eltern. "Er hat diesen Glauben des Elternhauses, der sehr authentisch und mit hoher sozialer Verantwortung verbunden war, den hat er übernommen und selbst auch versucht, je reicher und erfolgreicher er wurde, umso mehr dann auch anderen von seinem Reichtum abzugeben". Hilbert erzählt hier von einem geglückten Lebenslauf. Ganz anders dagegen verlief die Lebensgeschichte der RAF Terroristin Gudrun Ensslin, die auch in einem Pastorenelternhaus aufwuchs und sich in der evangelischen Jugend engagierte. Doch dann wurde sie fanatisch, schloss sich der Terrorgruppe an und war nicht mehr aufzuhalten. "Das war auch sehr tragisch für die Eltern", weiß Hilbert, "die am Ende spürten und erfahren mussten, dass sie ihre Tochter nicht mehr erreichen konnten. Da ist so ein Bruch, da ist so eine neue eigene Welt aufgebaut worden, so dass dann das eigene Kind nicht mehr zu erreichen war". Überhaupt sind die frommen Eltern der prominenten Kinder, die Hilbert portraitiert, alles andere als autoritär und despotisch, sondern in ihrem Glauben verankert fromm und auf das Wohl ihrer Kinder bedacht.

Gibt es eine besondere Qualität frommer Elternhäuser?

Es lohnt ein genauer Blick auf die Frage, ob sehr fromme Elternhäuser unbedingt unfromme Kinder hervorbringen, so wie bisher gedacht, wenn man die Biografien von Nietzsche, Engels oder Ensslin zu interpretieren versuchte. "So einfach ist das nicht. Da spielen viele verschiedene Einflüsse eine Rolle", sagt Pastorensohn Matthias Hilbert. Aber, und die Frage bleibt spannend, ist es nun gut oder schlecht, in einem sehr frommen Elternhaus aufzuwachsen? "Das kann man ganz einfach sagen", antwortet Hilbert, "was ich auch selbst in meinem Elternhaus erlebt habe. Christliche Eltern machen sicherlich nichts verkehrt, wenn sie versuchen, ihren Glauben vorbildlich und echt zu leben und gleichzeitig ihren Kindern ein hohes Maß an Annahme, Wertschätzung und Liebe entgegenbringen. Was das Kind aus diesem Erbe dann macht, das liegt dann nicht mehr im Verantwortungsbereich der Eltern, sondern betrifft die eigene Wahlfreiheit und Entscheidung der Kinder".