Heinz Helle über 'Die Überwindung der Schwerkraft'

Welchen Sinn hat das Leben?

Was gibt uns Hoffnung? Welchen Sinn hat das Leben? Heinz Helle schickt zwei Brüder durch eine Münchner Winternacht. Sie ziehen von Kneipe zu Kneipe und suchen nach Antworten auf die großen Fragen des Menschseins.

Heinz Helle / © Johannes Schröer (DR)
Heinz Helle / © Johannes Schröer ( DR )

Schon der erste Satz in Heinz Helles Roman wiegt unendlich schwer. 'Bald bin ich so alt, wie mein Bruder war, als er starb', läßt der Autor den Ich-Erzähler sagen und jede Illusion scheint dahin, dass die Geschichte oder auch das Leben gut ausgehen könnte. Nein, der Tod schwebt über uns. Wie können wir seine Schwerkraft überwinden? Heinz Helle treibt diese Frage um. Im DOMRADIO.DE Interview sagt er: "Wenn man das Schreiben ernsthaft betreibt, dann drängen sich gewisse Fragen immer wieder auf. Die Frage nach dem Sinn des Lebens klang schon in meinen ersten beiden Romanen an – und jetzt habe ich gemerkt, dass ich mich damit intensiver auseinandersetzen muss".

Warum hat Jesus ICH gesagt?

Der ältere Bruder säuft. Heinz Helle beschreibt ihn als einen "kämpfenden Idealisten, als zugrunde gehenden Idealisten, der aber nie aufhört zu suchen – nach Hinweisen, dass es berechtigt ist zu hoffen". Im betrunkenen Kopf denkt er wild und wirr und wunderbar über die Irrwege der Menschen nach. So fragt er zum Beispiel, ob es nicht der größte und einzige Fehler von Jesus als Gottes Sohn gewesen sei, in seinen Gebeten und Verheißungen das Wort ICH zu benutzen, ob er damit nicht den Individualismus in die Welt gerufen habe, der heute in seiner Radikalität das Zusammenleben der Menschen vergifte. Die Wut auf Jesus hat auch damit zu tun, dass der Bruder sein Leben als verpfuscht ansieht, dass er seine Alkoholsucht auch als eine Folge des narzisstischen Individualismus wahrnimmt.

"Da kommt die Religion ins Spiel, weil der Bruder religiös aufgewachsen ist", erklärt Heinz Helle, der selbst katholisch sozialisiert ist und auf der Jesuitenschule in München studiert hat. So erfährt seine Romanfigur auf der Beerdigung der Mutter durch den Besuch des Gottesdienstes Trost. "Genau diesen Trost, den ich da beschreibe, ziehe auch ich aus den katholischen Ritualen", sagt Helle, "ich halte es genau deswegen auch immer noch für etwas wichtiges und schönes, weil es Gemeinschaft ist und weil so Gemeinschaft hergestellt werden kann".

Ein vernünftiges Maß zwischen den Extremen

Egoismus, Individualismus oder auf der anderen Seite der Untergang in der Masse. Die Extreme sind es, die Helle als Gefahren beschreibt. "Mein Roman handelt davon ein richtiges Maß zu finden, ein vernünftiges Maß zwischen den Extremen", sagt der Autor. "Es ging mir aber auch darum, wie man einen Alltag in einer mittelgroßen Stadt in Mitteleuropa, in der ganz normale langweilige Dinge geschehen und getan werden müssen, wie man den zusammenbringt mit den hohen Erwartungen, Träumen und Visionen, die man zum Einen an die Menschheit als Ganzes aber dann eben auch an sich gerne haben möchte", sagt Heinz Helle. Am Ende seines Romans erzählt er von einem Mann und einem Kind an einem Glascontainer. Der Mann hält das Kind an der Hand. Mit der anderen Hand wirft er Glas in den Container. Eine alltägliche Situation und zugleich ein hoffnungsvolles Bild, voll Zutrauen in die Welt und in die Zukunft.


Quelle:
DR