Friedrich Ani erzählt, wie aus einem Missbrauchsopfer ein Racheengel wird

"Nackter Mann, der brennt" - ein Krimi und ein Klagepsalm

"Es ist ein Klagepsalm. Ich hätte die Geschichte auch in rhythmisierter Prosa erzählen können – wie ein Psalm. Aber das, dachte ich mir, ist etwas übermotiviert, denn es ist doch auch ein Kriminalroman“, sagt Friedrich Ani über seinen neuen Roman "Nackter Mann, der brennt“. Ani erzählt die Geschichte eines Missbrauchsopfers. Seine Rache an den Tätern kennt kein Erbarmen.

Symbolbild Kindesmissbrauch / © Patrick Pleul (dpa)
Symbolbild Kindesmissbrauch / © Patrick Pleul ( dpa )

"Ich habe so laut seinen Namen geschrien, und er hat mich nicht erhört", läßt Friedrich Ani seinen Romanhelden sagen. Der Autor erzählt die Geschichte eines Jungen, der in seiner Kindheit missbraucht wurde, nicht nur er, auch seine Freunde wurden von einer Clique brutaler Männer gequält, und das in einem Dorf, in dem die katholische Idylle zuhause gewesen zu sein schien. "Heiligsheim ist für mich ein klassischer Ort, ein Ort meiner eigenen Erfahrungen, meiner Kindheit, meiner Wahrnehmung einer Welt auf dem Land“, erzählt Ani. In dieser Welt ist nichts in Ordnung. Die Jungen, die hier von mehreren älteren Herren missbraucht werden, haben das Gefühl, sie seien selbst an allem Schuld, was ihnen angetan wird, denn "man könnte so ein System der Unterdrückung, der Misshandlung gar nicht aufrechterhalten, wenn man nicht in die Opfer ein Schuldbewusstsein, ein Schuldgefühl hinein transponieren würde“, sagt Ani. "Und oft sind die Menschen viel zu klein, es sind Kinder, die in die Kraken dieser Gesellschaft geraten und deswegen überhaupt keine Wahl, keine Chance haben“.

Gefrorene Tränen und brennende Vögel

Im Alter von vierzehn Jahren flieht der Junge Hals über Kopf  aus dem süddeutschen Dorf. Vierzig Jahre später kehrt er als Ludwig Dragomir zurück. Alkohol, Drogen, ein wildes Leben in Berlin verhinderten nicht die ständige Erinnerung des Missbrauchs seiner Spielkameraden und seiner selbst. "Mit gefrorenen Tränen war ich in dieses Dorf zurückgekehrt. In einer Nacht aus Eis würde ich meine Wiege wiederfinden. Ich würde mich hineinlegen, die Augen schließen und den Gesang der brennenden Vögel hören, die trotz der Flammen, die aus ihnen schlugen, ihre Bahnen zogen und dem Allmächtigen huldigten. Bald wäre ich einer von ihnen und meine Verdammnis ein ewiges Glück“.

Ohne Vergebung gibt es keine Menschheit

Dragomir klagt an.`Warum habt ihr mir das angetan?´, fragt er und: `Ihr sollt dafür büßen`, so schreit es in ihm. Der Roman "Nackter Mann, der brennt“ stellt die großen Fragen nach Gott und Gerechtigkeit, wie ein Klagepsalm aus dem alten Testament. Der Romanheld kann den Tätern nicht vergeben. Er versucht die Gerechtigkeit der Welt wieder herzustellen, indem er den Tätern das Leben nimmt, so wie sie ihm auch seine Kindheit und sein Leben genommen haben. So stellt das Buch auch die Frage, ob Vergebung überhaupt möglich ist? "Vergebung ist möglich. Vergebung ist das Ziel von allem“, ist Friedrich Ani überzeugt. "Aber Dragomir hat sich verrannt. Das ist die Tragik, die Tragödie dieses Mannes, dass er eigentlich dachte, er tritt zur großen Befreiung an, aber er ist noch tiefer in seine Gefangenschaft geraten und kann deswegen sich selbst nicht vergeben – und damit anderen nicht. Aber ohne Vergebung gäbe es keine Menschheit mehr“.