Rebellen kündigen Vormarsch auf Kinshasa an

Angst vor neuem Kongo-Krieg wächst

Regierungsgebäude brennen, Soldaten geben kampflos auf: Der Siegeszug der kongolesischen Rebellen zeigt, wie wenig Rückhalt Präsident Kabila in seinem Land hat. Schon machen Putschgerüchte die Runde. Im domradio.de-Interview blickt Raoul Bagopha, Kongo-Experte bei Misereor auf die Lage vor Ort. Die Binnenflüchtlinge im Land bräuchten dringend körperliche und seelische Unterstützung.

Autor/in:
Marc Engelhardt
 (DR)

Am Tag nach der Einnahme Gomas haben die Rebellen vor allem junge Männer im Stadion der Millionenstadt im Osten Kongos versammelt. Vianney Kazarama, Sprecher der M23 ("Bewegung des 23. März"), ruft am Mittwoch zum Kampf gegen die Regierung in der 3.000 Kilometer entfernten Hauptstadt Kinshasa auf: "Die Reise zur Befreiung Kongos hat begonnen. Erst nehmen wir Bukavu ein und dann marschieren wir nach Kinshasa - seid Ihr bereit, Euch uns anzuschließen?" Jubel bricht aus.



Nur wenige Stunden später gibt es erste Berichte, nach denen die Rebellen Gemeinden entlang der Hauptstraße nach Bukavu eingenommen haben - kampflos. Von der kongolesischen Armee fehlt jede Spur. Die Regierungstruppen hatten bereits am Dienstag erklärt, der Krieg sei verloren, und sich danach im Busch oder in Zivilkleidung versteckt. Seitdem wächst die Angst vor einem neuen Krieg im Kongo, nicht nur in Goma.



Sind Joseph Kabilas Tage bald gezählt?

Zwischen 1996 und 2003 starben Schätzungen zufolge mehr als fünf Millionen Menschen in Kämpfen, in denen zeitweise Armeen aus acht Ländern verwickelt waren. Auch damals hatte der Krieg mit dem Marsch einer Rebellen-Allianz nach Westen begonnen: Deren Anführer Laurent-Désiré Kabila stürzte Diktator Mobutu Sese Seko. Doch nach kurzer Zeit brachen zwischen den Rebellen und ihren unterschiedlichen Schutzmächten neue Kämpfe aus. Erst nach der Ermordung Kabilas 2001 wurde ein Friedensvertrag ausgehandelt. Seitdem regiert sein Sohn, Joseph Kabila. Doch auch seine Tage könnten jetzt gezählt sein.



Am Mittwoch befand sich Kabila in Ugandas Hauptstadt Kampala, um unter Vermittlung des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni mit Ruandas Präsident Paul Kagame eine friedliche Lösung des Konflikts zu suchen. Die Aussichten sind trübe. Für die Vereinten Nationen gilt als bewiesen, dass Kagame die Rebellen der M23 mit Waffen, Geld und Rückzugsräumen in Ruanda unterstützt. Ein Interesse Kagames, die derart angefachte Krise zu beenden, ist nicht ersichtlich.



Kongos Staatschef Kabila gerät währenddessen im eigenen Land immer stärker unter Druck: In Kisangani brannten schon am Dienstag Partei- und Regierungsgebäude, auch am Mittwoch wurde in mehreren Städten demonstriert. Wie desillusioniert die Kongolesen mit ihrem Präsidenten sind, zeigt der ungehinderte Siegeszug der Rebellen allzu deutlich.



500.000 Menschen sind seit Beginn der Kämpfe geflohen

Soldaten im Osten Kongos, oft monatelang unbezahlt und miserabel ausgerüstet, sind augenscheinlich nicht mehr bereit, ihr Leben für eine als korrupt und autokratisch verrufene Regierung im fernen Kinshasa aufs Spiel zu setzen. Am Mittwoch gab es erstmals Gerüchte über einen möglichen Putsch. Die Hoffnungen der Bevölkerung im Osten Kongos, die Kabila bei seiner ersten Kandidatur mit 99 Prozent der Stimmen wählten, ist ebenso verflogen. 500.000 Menschen sind alleine seit Beginn der Kämpfe zwischen Armee und M23 geflohen.



Die Staatengemeinschaft scheint machtlos. Die Vereinten Nationen haben zwar im Kongo ihre größte Blauhelm-Truppe stationiert, mehr als 19.000 Polizisten und Soldaten. Doch als die Rebellen in Goma einmarschierten, unternahmen die dortigen 1.500 UN-Soldaten nichts.

Absurd sei das, fauchte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius.  Doch tatsächlich ist es genau das Gegenteil.



"Wir sind nicht länger bereit, den Kopf für diese kongolesische Armee hinzuhalten", zitieren lokale Journalisten einen hochrangigen UN-Beamten. "Nachdem sowohl die militärischen als auch die zivilen Anführer aus Goma geflohen waren, hatten wir gar keine Option, als die Stadt den Rebellen zu überlassen." So habe man immerhin das befürchtete Blutbad verhindern können.



   Ob die Rebellen tatsächlich bis nach Kinshasa marschieren, ist indes unklar. M23 setzt sich vorwiegend aus ehemaligen Kämpfern der zuletzt von Laurent Nkunda angeführten Miliz CNDP zusammen, einer Gruppe, die nach eigenen Angaben für mehr Rechte der kongolesischen Tutsi kämpft. Ihre Zahl ist gering: Auf 1.500 bis 2.500 schätzt sie der Kongo-Experte Jason Stearns, zu wenig, um ein Land von der Größe Westeuropas einzunehmen. Ihr Vormarsch dürfte davon abhängen, ob sich ihnen andere Kräfte anschließen. Ruanda wiederum kommt eine Schlüsselrolle zu. Die Kagame-Regierung könnte als Ordnungsmacht gebraucht werden, um Frieden zu schaffen, obwohl sie in die Krise verwickelt ist.