Eher wirkt sie wie eine Art persönliches Manifest Schavans in wissenschaftlichem Gewande. Ihre innerkirchlich strittigen Überzeugungen, aus denen heraus sie später immer wieder Politik gemacht hat, scheinen bereits deutlich durch. Wahrscheinlich auch deshalb erklärte die Bundesbildungsministerin, die Plagiatsvorwürfe gegen sie schmerzten. In der pädagogischen Dissertation hat sie ihr Credo für die Autonomie des Gewissens und die Verantwortung des Einzelnen formuliert und zu begründen versucht. Als Politikerin hat sie später immer wieder darauf rekurriert: Ob Abtreibung, Stammzellforschung oder Kopftuchstreit - in all ihren Debattenbeiträgen scheint der ethische Grundansatz der Doktorarbeit von 1980 wieder auf.
Der anonyme Autor von "schavanplag" meldet für Seite 253 der Doktorarbeit keine Beanstandung. Dort findet sich in einer verlängerten Fußnote eine Beschreibung von Kirche und Politik. Schavan schreibt: "Ein treu zu seiner Kirche stehender Katholik" müsse in seine "gewissenhafte Prüfung die objektiven Normen des katholischen Lehramtes mit einbeziehen. Dennoch dürfe er aber zu einer "von der lehramtlichen Entscheidung abweichenden Auffassung kommen", die er dann auch vertreten und praktizieren dürfe. Sie beschreibt das Verhältnis von "Autorität und Autonomie" mit einer klaren Trennungslinie. "Der spezifische Anspruch des Lehramtes" dürfe nicht dazu führen, das "individuelle Gewissen, das heißt die selbst zu verantwortende Entscheidung des Einzelnen unmöglich zu machen".
Schavan zehrt noch heute von ihren Thesen
Schavan umreißt damit schon früh einen Grundkonflikt, in dem heute viele christliche Politiker stehen. In den Auseinandersetzungen um die Schwangerschaftskonfliktberatung, aber auch in bioethischen Fragen liegen kirchliches Lehramt und katholische Politiker oft überkreuz. Zugrunde liegen meist unterschiedliche Auffassungen darüber, wie Gewissensbildung funktioniert und wie viel Freiheit dem Einzelnen dabei zukommt.
Schavans Arbeit trägt den Titel "Person und Gewissen". Wie sehr sie heute noch von ihren Thesen von einst zehrt und sie zugleich weiterentwickelt, wird in einem Aufsatz deutlich, den sie im März in den "Stimmen der Zeit" veröffentlicht hat. Erneut verteidigt sie eine "Entscheidungsethik" gegen eine "Glaubensethik", die meine, dass "christliche Sittlichkeit nicht autonom ist, sondern aus dem Glauben entwickelt werden muss". Ethische Normen seien, so Schavan, nicht vom "Himmel gefallen", sondern Menschenwerk. Eine These, die Widerspruch provozieren kann und den Überlegungen von Papst Benedikt XVI. zum Naturrecht ziemlich konträr gegenübersteht.
Doch Schavan verteidigt den Weg von der ethischen Urteilsfindung zum politischen Kompromiss. Manchen werde dadurch die Entscheidung "zu unklar", weil sie meinten es müsse "Hundert-Prozent-Lösungen" geben. Doch - und da ergänzt sie ihre personalistische Verantwortungsethik noch um eine pragmatische Komponente - zu politischer Verantwortung gehöre, darauf zu schauen, dass eine Gesellschaft nicht auseinander drifte. Dann komme man zu Entscheidungen, bei denen "möglichst viel von dem, was im Spiel ist, auch Berücksichtigung findet".
Ministerin Schavan und ihre Doktorarbeit
"Person und Gewissen"
Bildungsministerin Annette Schavan hat schon viele Angriffe erlebt, in der Kirche wie in der Politik. Da scheint die Auseinandersetzung um ihre Doktorarbeit fast wie ein Nebenkriegsschauplatz. Doch der Eindruck täuscht. Ihr werden Ungenauigkeiten in der Dissertation vorgehalten. Die Universität Düsseldorf ist dabei, die Vorwürfe zu prüfen. Wer die Schrift aber inhaltlich studiert, stellt fest: Dieses Werk ist jedenfalls keine zusammengeklaubte akademische Pflichtübung.
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