Vor 60 Jahren starb Maria Montessori

"Hilf mir, es selbst zu tun"

Sie war eine der ersten Frauen, die in Italien Medizin studierten. Dann revolutionierte sie Lernmethoden und begründete eine Pädagogik, die heute vielen als Erfolgsrezept gilt: Maria Montessori setzte auf Neugier und Lernbegeisterung der Kinder. Vor 60 Jahre, am 6. Mai 1952, starb sie in den Niederlanden.

Autor/in:
Birgit Vey
 (DR)

Ein Lernen, das mit den Händen beginnt und nicht mit den Hirn - so lautete der pädagogische Ansatz Maria Montessoris (1870-1952). Schon zu Lebzeiten der italienischen Pädagogin und Ärztin wurden auf der ganzen Welt Montessori-Einrichtungen gegründet. Heute gibt es allein in Deutschland rund 1.000 Montessori-Schulen und -Kindergärten.



Geboren 1870 bei Ancona, wächst sie in gutbürgerlichen Verhältnissen als Einzelkind auf. Die Mutter Renilde gilt als gebildete, liberale Frau. Sie unterstützt ihre Tochter bei dem Wunsch, ein technisches Gymnasium zu besuchen - und nicht eine humanistische höhere Schule, wie es im 19. Jahrhundert für Mädchen üblich ist.



Die Mathematik hatte es Maria Montessori angetan

Denn Maria liebt Mathematik und will zunächst Ingenieurin werden, studiert dann Medizin - wieder eine Männerdomäne. Zwar sind seit 1876 Frauen in Italien an den Universitäten zugelassen, dennoch muss Montessori einige Hürden überstehen. Sie darf sich erst dann in die erste Reihe des Hörsaals setzen, wenn alle männlichen Kollegen schon Platz genommen haben. Und im Anatomieunterricht wird die junge Studentin allein unterricht: Als Frau nackte Leichen gemeinsam mit Männern zu betrachten, gilt als unschicklich. Trotzdem wird sie 1896 zur Ärztin promoviert.



Als Assistenzärztin an einer psychiatrischen Klinik mit dem Schwerpunkt Kinderheilkunde reift in ihr die Erkenntnis: Neue pädagogische Wege sind notwendig. "Erst die Erziehung der Sinne, dann die Erziehung des Verstandes", lautet Montessoris Motto. Sie wird Direktorin am Heilpädagogischen Institut und setzt im Januar 1907 den ersten Meilenstein in ihrer pädagogischen Arbeit: Im römischen Armenviertel San Lorenzo gründet sie das Kinderhaus "Casa dei Bambini".



Drei- bis sechsjährige Arbeiterkinder werden dort anfangs unterrichtet, 1911 kommt eine Schule dazu. Ihre Erkenntnisse bündelt die Pädagogin in ihrem ersten Buch "Die Entdeckung des Kindes" - es wird 1909 ein großer Erfolg.



Perlenketten zum Rechnen oder Landkarten als Mosaike

Heute gibt es in Deutschland etwa 600 Kindergärten, 300 Grundschulen und 100 weiterführende Schulen, die nach Montessori-Prinzipien arbeiten. Eine dieser Schulen ist die Freie Aktive Schule in Tübingen. Noten, vorgegebenen Unterrichtsstoff und Klassen: Das kennen diese Schüler nicht. Statt dessen erwartet sie Montessoris "vorbereitete Umgebung". Dabei ist der Schulraum in Lernnischen unterteilt, abgetrennt durch Stoffvorhänge. Aus Regalen entnehmen die Schüler ihre Lernmaterialien, entwickelt von Montessori: Perlenketten zum Rechnen oder Landkarten als Mosaike.



Die Schüler der Freien Aktiven Schule entscheiden selbst, mit welchem Fach sie beginnen. Die Pädagogen setzen auf den "Lernimpuls". Damit beschrieb Montessori den im Kind angelegten Drang, sich für eine Sache zu begeistern, die Neugierde, sich mit etwas beschäftigen zu wollen.



Denn Maria Montessori sah Kinder nicht als eine Art Gefäß, in das Lehrer Lernstoff eintrichtern können, sondern für sie waren Kinder Wesen, die ihr Wissen selbst ausbilden. Einen hohen Stellenwert hatte für Montessori das kindliche Spiel. "Arbeit" nannte die Pädagogin das Spiel, das zu ihrer Zeit noch wenig geschätzt wurde.



Viel Raum für selbstständiges Arbeiten

Ein selbstständiges Arbeiten, das auch in der Freien Aktiven Schule in Tübingen viel Raum bekommt. Als "individuelle Lernzeit" steht es im Stundenplan. Eine Grundschülerin setzt sich in die Lernnische und betrachtet konzentriert einen Holzkasten, in dem rote Kreise liegen. Der erste ist ein ganzer Kreis, der zweite Kreis ist in zwei Hälften geteilt. Sie kann erkennen: 1/2 und 1/2 ist gleich 1. Die ersten Schritte zum Bruchrechnen sind getan, ohne Lehrer. "Spielend lernen", nennt das Schulleiterin Gabriele Schmid.



Neben ihr fährt ein jüngeres Mädchen die Kurven des "S" mit den Fingen auf Sandpapier-Buchstaben nach: eine vorbereitende Schreibübung. Und ein drittes Kind hat einen Kasten mit Rechenaufgaben vor sich. Multiplikationen sind gefordert, die Lösungen stehen auf der Rückseite. "Damit liegt die Kontrolle beim Kind selbst. Es muss sich nicht von Erwachsenen überprüfen lassen, ob etwas richtig oder falsch ist", erklärt Schmid.



   "Hilf" mir, es selbst zu tun", Montessoris wichtigsten Kernsatz, haben die Pädagogen im Blick. Als Begleiter verstehen sie sich, die nicht wie übliche Lehrer am Pult stehen, sondern zum Schülertisch gehen.



   Eine freiheitliche Art der Pädagogik, die nicht zu allen Zeiten gefragt war: In Italien wurden Maria Montessoris Schulen 1934 verboten - nachdem Mussolini anfangs ihre Pädagogik geschätzt hatte.

In Deutschland verboten die Nazis die deutsche Montessori-Gesellschaft. Zu dieser Zeit war die Pädagogin längst ein gefragter Gast bei Vorträgen und internationalen Kongresse.



   Sie war 1916 nach Barcelona übergesiedelt, wo sie eine Modellschule und ein Ausbildungsinstitut einrichtete, verließ nach dem faschistischen Putsch Francos 1936 jedoch Spanien und ging nach Amsterdam. Zusammen mit ihrem Sohn reiste sie nach Indien, lebte zehn Jahre dort und bildete Lehrer aus. Zu ihrem Altersitz wählte sie schließlich die Niederlande. Mit 81 Jahren starb Maria Montessori in Noordwijk aan Zee.