Allerheiligen steht gleichsam der Himmel offen. Die Heiligen werden sichtbar als Ziel menschlichen Lebens. Dieser Blick nach oben schenkt festen Boden unter den Füßen in der Welt.
Der veruntreute Himmel bedeutet eine veruntreute Ewigkeit. Der Mensch braucht die Ewigkeit, denn jede andere Hoffnung ist für ihn zu kurz. Es ist nicht wahr, dass die Ewigkeit ihm die Zeit stiehlt, sie entleert oder unwichtig macht. Ganz im Gegenteil! Erst die Ewigkeit gibt dem Menschen die Zeit. Wenn es wahr ist, dass mit dem Tode nicht alles aus ist, dann bekommt der Mensch plötzlich Zeit, dann braucht er nicht durch die kurze Spanne des Lebens zu eilen und zu laufen nach der Devise: "Was du bis zum Tode nicht erjagt hast, das gewinnst du nie!" Wenn der Tod des Menschen würdelos ist, dann ist auch sein Leben würdelos. Wenn der Mensch im Tode weggeworfen wird, dann gehört er zu dem, was man entsorgen kann, und das darf man dann auch schon vor seinem Tode tun.
Die entscheidende Krankheit des Menschen
Wenn der Mensch nie Abfall wird, wenn die Ewigkeit sein Wert ist, dann gilt dieser Wert immer und überall, dann bestimmt er sein ganzes Leben. Der veruntreute Himmel ist die entscheidende Krankheit des Menschen. Der betreute Himmel ist die einzige Rettung und Erlösung des Menschen. Die Kirche hat der Welt keine menschenfreundlichere Gabe zu geben als das Allerheiligenfest. Der Mensch bekommt damit Würde und Wert.
Der veruntreute Himmel bringt auch eine veruntreute Zukunft. Wenn man den kommenden Generationen das Paradies verspricht, dem Einzelnen aber nur jeweils den Tod und das Nichts, dann hat man niemandem etwas versprochen. Diejenigen, die den Menschen den Glauben an den Himmel ausreden wollen oder ausgeredet haben, die haben ihnen doch nicht die gesegnete Erde gegeben. Sie haben ihnen eine geschändete, ausgebeutete Erde hinterlassen: "Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen", spottete Heinrich Heine vor etwa 150 Jahren. Wem hat er aber damit die Erde überlassen? Seitdem der Himmel nur den Spatzen überlassen wurde, ist die Erde unter die "Räuber" gefallen, die jetzt aus so vielen Wunden blutet.
"Du hast eine unantastbare Würde"
Im Allerheiligenfest beugt sich der barmherzige Samariter über den unter die Räuber gefallenen Menschen: "Du bist wer! Du hast eine unantastbare Würde, weil Gott als Vater und Schöpfer hinter dir steht! Du hast einen unverlierbaren Wert, weil Gottes Sohn dich mit seinem Herzblut erkauft hat! Du hast unveräußerliche Rechte, weil Gottes Heiliger Geist dich geheiligt hat!"
Veruntreuter Himmel, das bedeutet auch veruntreute Gegenwart. Von einer Zukunft, die nur Zukunft und nie Gegenwart wird, hat niemand etwas. Die Propheten des irdischen Paradieses vertrösten den Menschen mit einer solchen Zukunft, die nie Gegenwart wird. Wenn man auf eine solche Zukunft wartet, ist jeder Tag zu lang. Wenn nichts hinter ihr steht, dann ist sie hoffnungslos. Aber auch eine Gegenwart, die nur Gegenwart bleibt, hinter der nichts anderes steht, ist unerträglich, weil sie hoffnungslos ist. Wenn nur das Nichts hinter der Gegenwart steht, dann lebt der Mensch ohne Himmel, Höhe und Horizont.
Keine fromme Idylle
Nur die Ewigkeit kann Gegenwart und Zukunft zusammenbinden. In ihr werden den Menschen der neue Himmel und die neue Erde geschenkt. Das garantiert ihnen die Gewissheit, dass Himmel und Erde nicht als Müllhalde enden, die zuletzt Blut und Tränen dieser Zeit als leere Illusionen gleichmütig begräbt.
Das Allerheiligenfest ist das Fest des Himmels um der Erde willen. Denn der veruntreute Himmel hat die veruntreute Erde zur Folge. Das Ergebnis der veruntreuten Erde ist der veruntreute Mensch. Allerheiligen ist keine fromme Idylle aus der seligen vergangenen Praxis der Kirche, sondern Allerheiligen ist harte, aber heilende Realität in einer Welt "der Finsternis und der Todesschatten".
Der Kölner Kardinal Joachim Meisner zur Bedeutung von Allerheiligen
Der Himmel steht offen
"Der veruntreute Himmel" ist nicht nur ein interessanter Buchtitel. Er ist eine bittere Realität, die tiefe Furchen in unsere Erde gegraben hat. Aus dem veruntreuten Himmel kommt die veruntreute Erde. Das Ergebnis der veruntreuten Erde ist der veruntreute Mensch. Das Allerheiligenfest ist die große Gegenbewegung der Kirche gegen den veruntreuten Himmel um der Erde und des Menschen willen.
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