Forscher entschlüsseln das Geheimnis des Schwarzen Tods

Die Mutter aller Pesterreger

Der Schwarze Tod kam wie die Apokalyptischen Reiter über Europa. Die Pestepidemie des 14. Jahrhunderts übertraf alles bisher Dagewesene. Wie keine andere Krankheit hat sie die Geschichte des Abendlandes geprägt und eine bis heute reichende Erinnerung hinterlassen. Jetzt haben Forscher aus Deutschland und Kanada erstmals das komplette Genom des Erregers entschlüsselt.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Dabei stellten sie fest: Der heutige Erreger der Pest, das von Alexandre Yersin 1894 entdeckte und nach ihm benannte Bakterium Yersinia pestis, hat auch den Schwarzen Tod des 14. Jahrhunderts und die Ausbrüche seither ausgelöst. Das Bakterium "war sozusagen die Mutter aller heutigen Pesterreger".



Untersucht: Pestopfer auf einem Londoner Friedhof

Für ihre Untersuchungen zogen die Forscher sterbliche Überreste von britischen Pestopfern zu Rate, die in der Mitte des 14. Jahrhunderts auf einem Londoner Friedhof bestattet worden waren. Nach Schätzungen kamen in den Jahren zwischen 1347 und 1351 mehr als die Hälfte aller Europäer ums Leben. Die Überlebenden mussten bald feststellen, dass dieses Massensterben kein einmaliges Ereignis war: Es sollte in Westeuropa noch 400 Jahre dauern, ehe die Seuche ein Ende fand.



Viele fassten die Pest als Strafe Gottes auf, beteten zu den Pestheiligen Rochus und Sebastian, errichteten Pestkreuze und riefen Wallfahrten aus. Bußpraktiken und Geißlerumzüge sollten Gott versöhnen. Noch heute etwa erinnern die Passionsspiele in Oberammergau an eine Pestepidemie. Opfer der Krankheit wurden auch Zehntausende Juden: Der Vorwurf der Brunnenvergiftung löste eine Flut von Judenpogromen vor allem im Elsass, der Schweiz und in Deutschland aus. Bürger und Zünfte sahen die Juden als Sündenböcke, der Klerus hielt sich zurück. Papst Clemens VI. versuchte, spontane Gewaltausbrüche zu verhindern, indem er verbot, Juden ohne Gerichtsverfahren hinzurichten. Vergeblich: Viele jüdische Gemeinden erholten sich nicht wieder von Verfolgung, Folter und Mord.



Dabei war der Pestausbruch von 1347 schon das zweite Mal, dass diese Seuche Europa überzog. Zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert grassierte in Teilen des Kontinents die sogenannte Justinianische Pest. Diese von Ägypten ausgehende Epidemie, die weltweit mehr als

100 Millionen Menschen dahingerafft haben soll, geriet allerdings in Vergessenheit. Jüngsten Forschungen zufolge soll sie von einem anderen Erreger ausgelöst worden sein.



Ergebnis der frühen Globalisierung

Die Pandemie des 14. Jahrhunderts hatte ihren Ausgangspunkt wohl im Gebiet der heutigen Mongolei. Dass sie sich bis nach Europa ausbreitete, war die Folge der Ausdehnung des mongolischen Herrschaftsbereichs, in gewisser Weise also das Ergebnis einer frühen Globalisierung. Der französische Historiker Le Roy Ladurie prägte dafür die Formel der "Vereinigung der Welt durch Mikroben".



1347 belagerten die Mongolen die genuesische Handelsniederlassung Kaffa auf der Krim. Als sich in ihrem Heer die Pest ausbreitete, entschlossen sie sich zu einem Akt biologischer Kriegsführung: Mit Katapulten schleuderten sie Pestleichen in die Stadt. Die Genuesen, die fluchtartig die Stadt verließen, trugen die Pest auf ihren Schiffen mit sich in die Küstenstädte Europas.



1349 erreichte die Pestwelle Deutschland

Zuerst ereilte es bis Dezember 1347 Venedig, Pisa, Genua und schließlich Marseille. 1348 wütete die Pest auf der ganzen italienischen Halbinsel. Zahlreiche erschütternde Berichte beschreiben - ebenso wie Boccaccios weltberühmte Schilderung der Pest in Florenz - den Schrecken der Menschen. Ende 1349 erreichte die Krankheit die deutsche Nordseeküste, Ostfriesland und Hamburg.  Im Süden Deutschlands war die Pest schon zu Beginn des Jahres etwa in München und Konstanz ausgebrochen.



Heute hat der Schwarze Tod viel von seinem Schrecken verloren. Allerdings fordert die Krankheit immer noch Menschenleben, aktuell etwa 2.000 im Jahr. Die Wissenschaftler feiern ihre Ergebnisse als Durchbruch in der Erforschung von Infektionskrankheiten. Fragen bleiben gleichwohl: "In einem nächsten Schritt wollen wir herausfinden, warum die mittelalterliche Pest tödlich war."