Bergmann legt Studie zu sexueller Gewalt in Schulen und Heimen vor

Kein Thema der Vergangenheit

Während in Bonn die Bischöfe ihre Pläne zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Kirche vorgelegt haben, hat in Berlin Christine Bergmann, die Missbrauchsbeauftragte der Regierung, jüngste Forschungsergebnisse präsentiert. Ihr Fazit: Missbrauch ist kein Thema der Vergangenheit, sondern der Gegenwart.

 (DR)

In 70 Prozent der Heime gab es in den vergangenen drei Jahren einer neuen Studie zufolge Verdachtsfälle für sexuellen Missbrauch. Damit kommt sexueller Missbrauch in Heimen deutlich häufiger vor als in Schulen, die knapp zur Hälfte betroffen waren, wie aus einer am Mittwoch in Berlin vorgestellten Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) hervorgeht. Die Studie wurde im Auftrag der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Christine Bergmann (SPD) erstellt.



Klare Leitlinien gefordert

Bergmann nannte die Zahlen erschreckend. Sexueller Missbrauch sei kein Thema der Vergangenheit, sondern der Gegenwart. Die Institutionen bräuchten daher klare Leitlinien sowie eine "Kultur des Umgangs mit dem Thema", sagte die ehemalige Familienministerin, die seit April vergangenen Jahres die bundesweite Anlaufstelle für Missbrauchsopfer leitet.



Für die Untersuchung befragte das DJI mit Einverständnis der Kultusminister rund 1.100 Schulleitungen, 325 Heime und 100 Internate. Bayern verweigerte unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Bedenken die Befragung.



Offizielle Verdachtsfälle

Es sei bei der Studie nur um Verdachtsfälle gegangen, die offiziell bekannt geworden seien, sagte DJI-Direktor Thomas Rauschenbach. Eine Dunkelfeldstudie sei nicht unternommen worden. In den Heimen habe sich ein Viertel der Verdachtsfälle als haltlos erwiesen. In den Schulen hätten 20 Prozent der Verdachtsfälle arbeitsrechtliche Konsequenzen gehabt.



Wurden die Heimleitungen befragt, ob ihnen über die zurückliegenden drei Jahre hinaus ein Verdacht auf sexuellen Missbrauch bekannt sei, gaben sogar 82 Prozent dies an. Bei den Internaten waren es 69 Prozent, bei den Schulen die Hälfte. In den Heimen fand der sexuelle Missbrauch zur Hälfte außerhalb der Institution statt, zu 39 Prozent zwischen Kindern und Jugendlichen und zu zehn Prozent durch Mitarbeiter des Heims. In Internaten wurden in drei Prozent der Fälle Erzieher oder Lehrer übergriffig, in Schulen in vier Prozent der Fälle.



Hohe Intimität bei Heimen

Die deutlich höheren Raten bei den Heimen erklärte Rauschenbach durch die hohe Intimität. Heime seien eine Art Ersatzfamilie für die Kinder. Rauschenbach forderte alle pädagogischen Institutionen auf, "sich anders mit dem Thema zu befassen". Sie müssten "herauskommen aus dem Abwiegeln". Bei der Frage der Prävention hätten Heime und Internate angegeben, die Fachkräfte müssten besser geschult werden.



Die Schulen hingegen vertraten die Auffassung, dass die Kinder besser aufgeklärt und informiert werden müssten, berichtete Rauschenbach.



Bergmann berichtete, dass die zentrale Anlaufstelle weiter in Anspruch genommen werde. Nach Vorstellung des Abschlussberichts im Mai habe es noch einmal besonders viele Anrufe gegeben. Insgesamt gingen bislang 18.500 Briefe und Anrufe bei der Anlaufstelle ein.