Grimme-Institut-Leiter fordert nachhaltigere und ausgewogenere Medienarbeit

"Wer spricht noch von BSE?"

Trotz "Todesgurken" und "Darmseuche" – insgesamt beobachtet Uwe Kammann in der EHEC- Berichterstattung eine "gedämpfte Tonlage". Dennoch übt der Geschäftsführer des Grimme-Instituts im Interview mit domradio.de Medienschelte und rät, "sich nicht verrückt machen zu lassen".

 (DR)

domradio.de: Zu den Aufgaben Ihres Institutes gehört es, die Medienkultur in Deutschland zu analysieren. Zu welchen Ergebnissen kommen Sie denn in Sachen EHEC-Berichterstattung? Überwiegt in Ihren Augen da Panikmache?  

Kammann: In meinen Augen nicht. Ich glaube, diesmal ist die Tonlage "der Medien" im Schnitt gedämpfter; es ist nicht mehr dieser große Alarmismus, wie er zuletzt bei der Vogel- und Schweinegrippe geherrscht hat, von BSE will ich gar nicht reden. Die Medien insgesamt haben gelernt, dass man nicht immer nur mit Höchstgeschwindigkeit fahren darf, weil das irgendwann unglaubwürdig wird.



domradio.de: Dennoch gibt es den einen oder anderen Ausreißer, vor allem in der Boulevard-Presse. Was steckt hinter solchen medialen  Angstkampagnen?

Kammann: Boulevard versucht immer mit möglichst marktschreierischem Alarmismus auf sich aufmerksam zu machen und damit Auflage zu steigern und Aufmerksamkeit zu generieren. Das ist so, und das muss man wahrscheinlich in Kauf nehmen, denn Boulevard wird sich nicht ändern, da kann man nichts machen. Wie gesagt: Die Behandlung ist sehr unterschiedlich, in den verschiedenen Tageszeitungen habe ich sehr differenzierte Berichterstattung gelesen, auch sehr gute wissenschaftliche Erklärungen und Einschätzungen, was das alles im gesamten Gesundheitszusammenhang bedeutet und was zu tun ist. Das fand ich sehr gut, hintergründig und differenziert. Und zusätzlich gibt es ja auch noch das Internet, auch hier gibt es inzwischen eine Fülle an guten Seiten. Es wird  jetzt mehr verlangt vom Leser, Zuschauer und Hörer: Er muss wirklich lernen, selbst auszuwählen und zu sagen, wer für ihn glaubwürdig ist.



domradio.de: Unterm Strich sind Sie also zufrieden mit der Arbeit der Medien, Sie fühlen sich gut aufgeklärt?

Kammann: Was mir generell missfällt an der Berichterstattung über Gesundheitsfragen, ist die große Vergesslichkeit: Wer spricht heute noch von BSE? Ich nehme nicht an, dass die Symptome und Phänomene von BSE verschwunden sind - nur sie sind nicht mehr in den Medien präsent. Und damit scheint dann auch das Problem gebannt zu sein. Das wird sicher nicht der Fall sein. Insofern sollte man immer auch noch nachfragen. Da sollten die Medien sehr viel mehr tun: nicht nur die Eintagsfliegen beobachten, sondern kontinuierlich sein.



domradio.de: An EHEC sind bisher elf Menschen gestorben - einer ganz gewöhnlichen Grippe fallen im Jahr etwa 40.000 Menschen zum Opfer. Darüber wird allerdings kaum geschrieben - warum dieses eklatante Missverhältnis?

Kammann: Dass das Neue, nicht Bekannte in den Vordergrund stellen, ist völlig klar. Worüber man noch nicht so viel weiß, erscheint viel wichtiger. Das war ja dasselbe bei der Schweinegrippe, wo es auch viel weniger Todesfälle gab als bei der ganz normalen Grippe. Aber auch hier war es plötzlich ein neuer Erreger. Das muss man im Augenblick noch so konstatieren, das finde ich auch nicht gut, da sollten die Medien auch korrigieren und versuchen, Relationen herzustellen und einzuordnen - anstatt ein Phänomen zu isolieren und es viel zu groß darzustellen.



domradio.de: Ganz allgemein gesprochen - für wie einflussreich halten Sie Medien wenn es um tatsächliche oder potenzielle Seuchengefahr geht.

Kammann: Sie sind nicht so mächtig, wie sie selber denken. Inzwischen wissen die Menschen, dass es sehr viele unterschiedliche Darstellungen gibt, sie können vergleichen. Es ist nicht mehr so eine Einbahnstraße der Information, Vieles relativiert sich in der täglichen Nutzung der Medien. Die beste Einstellung ist, sich nicht verrückt machen zu lassen.



Das Gespräch führte Hilde Regeniter.