Millionen Touristen werden das Gotteshaus sehen: Es liegt an den nächsten S-Bahn- und Metrostationen zum Eiffelturm und einen Steinwurf von Lady Di"s Todesstelle. Dass Russland siegreich aus dem Wettstreit um das Grundstück hervorging, ist nach einem unwidersprochen gebliebenen Bericht des Nachrichtenmagazins "Nouvel Observateur" eine Geschichte von Ränkespielen - mit Königen, Präsidenten und Kardinälen in den Hauptrollen.
Im September 2009 wird das Terrain von der französischen staatlichen Immobilienverwaltung zum Kauf angeboten. Russland hat vier Konkurrenten, darunter einen, der wirklich gefährlich werden könnte: Saudi-Arabien. Doch als im Januar 2010 die Umschläge geöffnet werden, ist der von Moskau vorgeschlagene Kaufpreis mit rund 70 Millionen Euro das höchste Gebot. Und erhält den Zuschlag.
Die Vorgeschichte, wie der "Nouvel Observateur" sie erzählt: Der frisch gewählte französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy habe - gegen den Willen des Außenministeriums und erst auf Intervention des französischen Kurienkardinals Roger Etchegaray hin - schon 2007 den damaligen russisch-orthodoxen Patriarchen Alexij II. empfangen.
Streben nach Unabhängig vom Moskauer Patriarchat
Umstritten ist der Besuch, weil das Verhältnis der russischstämmigen orthodoxen Gläubigen in Frankreich zu ihrer Mutterkirche getrübt ist. In Biarritz, Nizza und Paris versucht Russland seit Jahren, die dortigen Gotteshäuser wieder unter Kontrolle des Moskauer Patriarchats zu bekommen. Die Gemeinden vor Ort, die zumeist von Exil-Russen der Zarenzeit und des Sowjetregimes gegründet wurden, stehen diesen Plänen skeptisch bis ablehnend gegenüber. In Nizza etwa dauert ein Rechtsstreit über die Besitzverhältnisse für die dortige Kathedrale bis heute an.
Alexij II. wirbt bei Sarkozy darum, dann wenigstens eine neue Kathedrale in Paris bauen zu dürfen. Die Immobilienverwaltung des Kreml springt auf den Vorschlag auf. Russlands Botschafter in Frankreich wird in Marsch gesetzt. Er soll verhindern, dass Kanada das Gelände am Quai Branly überlassen wird, wie es eigentlich geplant gewesen sei. Doch in Paris herrscht Skepsis, schreibt der "Nouvel Obs"": Unmittelbare Nachbarn sind Dienststellen des Elysee-Palastes, der Präsidialverwaltung. Dort residieren höchste Geheimnisträger; dort ließ Präsident Francois Mitterrand einst seine geheime uneheliche Tochter Mazarine Pingeot wohnen.
Die Sorge in Moskau wächst, als Sarkozy im November 2009 eine Saudi-Arabien-Reise unternimmt. Würde Riad das Terrain erhalten und König Abdullah im Gegenzug Paris den Bau einer Hochgeschwindigkeitslinie zwischen Mekka und Medina antragen?
Staatspräsident Dimitri Medwedew persönlich wird eingeschaltet. Am Rande des Kopenhagener Klimagipfels einen Monat später spricht er mit Sarkozy. Erfolgreich, glaubt der "Nouvel Observateur". Denn Sarkozy brauchte Russland für außenpolitische Erfolge, etwa in Sachen Gas oder zum Umgang mit dem Iran.
Kitsch, Klassik oder Konstruktivismus
Noch von Kopenhagen aus habe Sarkozy mit seinem damaligen Haushaltsminister Eric Woerth telefoniert; das Gespräch sei vom Elysee bestätigt worden, schreibt das Magazin. Wenige Tage später empfängt Woerth Moskaus Immobilien-Chef - eine Vorzugsbehandlung, die weder Kanada noch Saudi-Arabien erhalten. Gut einen Monat später bekommt Russland mit seinem höchsten Gebot den Zuschlag für das Gelände. Dass Moskau über Insiderinformationen verfügt habe, dementiert Paris vehement.
Kitsch, Klassik oder Konstruktivismus: Die zehn Kathedral-Entwürfe der Endrunde decken alles ab. Vom anachronistisch-traditionellen Bau mit goldenen Zwiebeltürmen bis zur futuristischen Betonflamme und dem matroschkaartigen Entwurf einer Kathedrale im Glashaus ist alles vertreten. In orthodoxen Internetforen in Frankreich tobt ein Streit, wie denn eine Kathedrale der Gegenwart aussehen dürfe. Eine gläserne Welle, gekrönt von transparenten Zwiebeltürmen, ist in Web-Umfragen mit Abstand das beliebteste Projekt.
Hinweis: Die Entwürfe sind im internet zu sehen unter
Wie Moskau sich ein Filetgrundstück beim Eiffelturm sicherte
Eine neue Kathedrale für Paris
Es ist eine Traumlage. Am Ufer der Seine, keine 300 Meter vom Eiffelturm entfernt. Wo der Wetterdienst "Meteo France" seinen Sitz hatte, wird ein Filetstück frei. Und darauf soll eine Kirche entstehen. Mehr noch: eine Kathedrale, das Zentrum der russisch-orthodoxen Kirche in Frankreich. An diesem Montag fällt die Entscheidung, welcher der zehn in die Endrunde gekommenen Entwürfe gebaut werden soll.
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