«Ich gehöre zu den Leuten, die wenig Angst haben.» Ein wenig unsicher lächelt die alte Dame in die Runde: «Doch einmal bin ich vor der Haustür überfallen worden. Ich wollte schreien, hatte aber keine Stimme.» Pfarrerin Susanne Domnick nickt. Sie wurde auch schon einmal angegriffen. «Das hat mir einen Schock versetzt», sagt sie.
Domnick engagierte daraufhin einen persönlichen Selbstverteidigungstrainer, Ralph Filp - und fand «die Zusammenarbeit mit ihm toll». Weil mehrere ältere Gemeindemitglieder von ihren Ängsten auf der Straße berichteten, bietet Domnick in der evangelischen Kirchengemeinde Friedberg in Mittelhessen einen Selbstverteidigungskurs an.
Zehn ältere Menschen blicken erwartungsvoll auf den Trainer. Filp wirkt gespannt wie eine Feder, hoch konzentriert, bleibt immer in Bewegung. Jahrelang trainierte der 35-Jährige Kung Fu, doch hier geht es nicht um Kampftechniken. Filp weiß, dass ältere Menschen den meist jüngeren Tätern physisch nichts entgegensetzen können.
Deeskalation und Kommunikation
«Am wichtigsten sind Strategien, damit es überhaupt nicht zum Kampf kommt», erklärt er. Er nennt drei Ebenen der
Selbstverteidigung: Vor allem gehe es um «Vermeidung und sicheres Auftreten», gefolgt von «Deeskalation und Kommunikation». Erst dann kommt das Erlernen von Techniken, um sich körperlich zu wehren.
Angst löst zum Beispiel die Gruppe junger Männer aus, die mit Machogehabe provozieren will. «Aus verbalen Angriffen werden oft körperliche», warnt Filp. Er schlägt vor, eine Situation zu üben, wie sie auf der Straße häufig vorkommt: Zwei Teilnehmer gehen aufeinander zu. Einer rempelt absichtlich den Entgegenkommenden an. Doch dieser weicht mit einer Halbdrehung aus und entschuldigt sich sogar noch dafür.
Nicht mit dem Kopf durch die Wand
«Suchen Sie gar nicht erst den Blickkontakt, gehen Sie nicht darauf ein», mahnt Filp. Er übt mit der Gruppe, «emotionslos» zu gucken, also den Herannahenden nicht zu freundlich, aber auch nicht ängstlich oder herausfordernd anzusehen. Und schon vorher sollten sich die alten Menschen fragen: «Muss ich wirklich da lang gehen?» Besser nicht mit dem Kopf durch die Wand, meint der Trainer: «Viele sind viel zu sehr überzeugt von sich.»
Ein «Ampelsystem» helfe, gefährliche Situationen zu umgehen: Grün bedeutet die entspannte Situation, keinerlei Gefahr droht. Gelb leuchtet auf, wenn ein paar Jugendliche in der Nähe Quatsch machen. «Da müssen Sie schon überlegen: Bin ich Opfer, wer könnte mir notfalls helfen?» Bei Rot kommen die Täter heran und stoßen ihr Opfer um. «Wir haben das Ampelsystem schon in uns drin und müssen nur darauf hören.» Viele Gewaltopfer berichteten von einem «komischen Gefühl», das sie vor einem Angriff hatten, erklärt der Trainer.
Auch viele sinnlose Angebote
Die Teilnehmer gehen kurz durch den Raum, stellen sich in einer Reihe auf, blicken auf die kahle Betonwand des Gemeindezentrums. «Versuchen Sie sich zu erinnern. Wo sind Gegenstände, mit denen Sie sich wehren können?», fragt der Trainer. «Ich weiß, dass da hinten ein Stuhl steht», sagt jemand. Filp will den alten Menschen beibringen, aufmerksam durchs Leben zu gehen, bewusst die Umwelt wahrzunehmen, stets reaktionsbereit zu sein. «Das kann man üben.»
Bisher gebe es nur wenige Selbstverteidigungskurse für Senioren, berichtet Filp. Unter diesen Angeboten sei auch «viel Humbug», etwa wenn eine 80-Jährige bestimmte Grifftechniken lernen soll, urteilt der Friedberger Polizeisprecher Willi Schwarz.
Im Wetteraukreis bildet die Polizei seit vielen Jahren ehrenamtliche Sicherheitsberater für Senioren aus - ein preisgekröntes Modellprojekt, das bundesweit Nachahmer fand. Die Sicherheitsberater geben Tipps: Wie soll man die Handtasche tragen, welches Türschloss benötige ich? Häufig schürten die Medien zusätzlich Ängste, weiß Schwarz: «Die alten Leute trauen sich kaum noch auf die Straße und werden immer unsicherer.»
Wie Senioren lernen, mit gefährlichen Situationen umzugehen
Keine Angst auf der Straße
Ältere Menschen sind für Kriminelle eine beliebte Zielgruppe. Immer wieder werden sie Opfer von Überfällen: Sie werden auf offener Strasse überfallen, oder die Täter verschaffen sich mit Tricks Zugang in die Wohnung. Als Opfer werden diejenigen ausgewählt, die auf den ersten Blick einen unsicheren Eindruck machen. Ein Besuch bei einem Selbstverteidigungskurs für Senioren.
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