Der Umbau einer ehemaligen evangelischen Kirche in eine Synagoge ist eine bundesweite Premiere. Einen ähnlichen Fall gibt es bislang nur in Hannover. Dort wird Anfang kommenden Jahres ein neues jüdisches Gotteshaus eingeweiht, das ebenfalls aus einer Kirche entstand.
Nach knapp einjähriger Umbauzeit erstrahlt das Bielefelder Bethaus nun weiß, abends sollen die blauen Fenster der Turmkuppel von innen erleuchtet werden. Zwar wich die Kirchturmspitze einem gebogenen Dach, doch der Turm der früheren Paul-Gerhardt-Kirche blieb. Auch die Empore wurde im neuen jüdischen Gebetsraum erhalten.
Die künstlerische Gestaltung sei eine besondere Herausforderung gewesen, erzählt der Künstler Matthias Hauke, der für die Farben und Motive der Fenster und Räume verantwortlich ist. So folgen die Fenster und farbigen Elemente der Wände Haukes Konzept: Die Farbe Blau symbolisiert den Himmel, Braun die Erde und Türkis als Verbindung zwischen beiden den Menschen.
"Unser Eintritt in die Bielefelder Welt"
Für den Vorstand der Jüdischen Kultusgemeinde hat die helle, gut sichtbare neue Heimstatt Symbolkraft. "In unseren alten Räumen führten wir eher ein verborgenes Dasein", erklärt Paul Yuval Adam. "Die neue Synagoge ist für uns auch der Eintritt in die Bielefelder Welt." Wenn jüdische Zuwanderung und die Stärkung der jüdischen Gemeinden politisch gewollt sei, dann müsse auch das Selbstbewusstsein da sein, sich nach außen zu zeigen, ergänzt Vorstandskollegin Irith Michelssohn.
Die bisherige Synagoge - ein dunkles Haus vor einer stark befahrenen Straße - ist schon lange zu klein für die Gemeinde, die durch den Zuzug aus der ehemaligen Sowjetunion ständig wächst. Derzeit zählt sie rund 300 Mitglieder. "Jetzt brauchen wir für unsere Feste nicht mehr in fremde Räume auszuweichen", freut sich Michelssohn.
Die Kosten für den Grundstückserwerb und den Umbau beziffert sie auf bis zu 2,7 Millionen Euro. Daran beteiligen sich das Land NRW, die Stadt Bielefeld und der Landesverband Jüdischer Gemeinden. Die jüdische Gemeinde bringt unter anderem den Erlös aus dem Verkauf der bisherigen Synagoge mit ein. Die Kultusgemeinde muss jedoch auch um Spenden werben, wie Michelssohn erläutert.
Zwischenzeitlich stand das Projekt auf der Kippe
Die Übergabe an eine jüdische Gemeinde wurde von Beginn an von der Evangelischen Kirche von Westfalen und dem Kirchenkreis Bielefeld unterstützt. Dass 70 Jahre nach der Zerstörung durch die Nazis wieder ein neues jüdisches Gotteshaus entstand, bezeichnet der westfälische Präses Alfred Buß als "eine historische Chance" für die Stadt. Der Theologe begrüßt auch, dass ein aus finanziellen Gründen aufzugebendes Kirchengebäude weiter als Gotteshaus genutzt wird. Die westfälische Landeskirche hatte 2005 die besondere Verbundenheit mit der jüdischen Tradition in ihre Kirchenordnung geschrieben.
Trotz Zustimmung bis in die Spitze der Landeskirche hinein stand das Projekt bis zur Vertragsunterzeichnung im Juli 2007 zwischenzeitlich auf der Kippe. Eine Bürgerinitiative aus enttäuschten evangelischen Gemeindemitgliedern stemmte sich im vergangenen Jahr drei Monate lang mit einer beispiellosen Besetzungsaktion gegen einen Verkauf. Der Protest richte sich nicht gegen die jüdische Gemeinde, sondern gegen den geplanten Verkauf, beteuerten die Besetzer.
Die aus zwei Nachbargemeinden fusionierte evangelische Gemeinde sah sich zu dem Verkauf gezwungen, weil sie auf Dauer keine zwei Kirchen finanzieren könne. Erst durch die Vermittlung des westfälischen Altpräses Hans-Martin Linnemann und einen bis in die Nacht dauernden Verhandlungsmarathon nahm die Kirchenbesetzung ein friedliches Ende. Auch in der jüdischen Gemeinde war der Kirchenkauf nicht unumstritten.
Wenn es nach dem Vorstand geht, soll das neue jüdische Gemeindezentrum jedoch nun über die eigene Gemeinde hinaus strahlen. Zu Konzerten, Ausstellungen und gemeinsamen Feiern sollen auch die Anwohner willkommen geheißen werden. Schon während des Umbaus hätten oft interessierte Nachbarn und Mitglieder der Kirchengemeinde vorbeigeschaut, erzählt Michelssohn. Für ihren Kollegen Adam ist klar, dass es mit der benachbarten Kirchengemeinde enge Kontakte geben wird. "Der Kauf hat unsere Verbindungen zur evangelischen Kirche sehr vertieft", stellt er fest.
Frühere Kirche in Bielefeld wird zur Synagoge
Thora-Rollen im alten Altarraum
Wenn nach dem feierlichen Festzug am Sonntag die Thora-Rollen in die neue Bielefelder Synagoge gebracht werden, ist die Wandlung perfekt: Wo im vergangenen Jahr noch ein Pfarrer die Bibel auslegte, liest künftig ein jüdischer Rabbiner aus der Thora. Eine Premiere.
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