Der Polizeichef von Kopenhagen wollte die 13-jährige "May" treffen. "Hej, ich wünschte, bei dir zu sein", schrieb er unter dem Decknamen Niels in einem Chatroom. Dass die dänische Journalistin Tine Rögind von der Tageszeitung "Ekstra Bladet" sich als "May" ausgegeben hatte, ahnte er nicht. Mehr als 300 sexuell gefärbte Anfragen erhielt Rögind in dem Chatroom für Jugendliche. Die Deutsche Kinderhilfe fordert nach den Veröffentlichungen der Journalistin bessere Aufklärung von Kindern über diese Gefahren im Internet. Der Verband sieht Eltern, Lehrer und den Gesetzgeber in der Pflicht.
Der Kopenhagener Polizeichef schrieb: "Wäre es nicht schön, von mir umarmt zu werden?" Tine Rögind alias May ging zum Schein auf seine Anmache ein. "Vielleicht", schrieb sie. "Was für ein Nachthemd hast du an?", wollte Niels wissen und versprach, ihr eines aus Satin zu schenken, unter dem sie "nichts anhaben" dürfe. "Niels" verabredete sich mit "May". Empfangen wurde er von der Journalistin und einem Kameramann.
"Er muss nicht mehr hinter dem Busch sitzen"
Kinder und Jugendliche werden nach Einschätzung von Fachleuten in Internet-Chatrooms weit häufiger von Erwachsenen sexuell bedrängt, als Eltern ahnen. "Es ist unerträglich, was da so abgeht", sagt Marcus Stewen, Mitglied der deutschen Gesellschaft für Kriminalistik und Sachbearbeiter für Sexualdelikte und Kinderpornografie im Rhein-Erft-Kreis. Es sei kein Problem, sich im Internet Kinderpornos zu beschaffen. Das könne die Hemmschwelle für einen tatsächlichen Missbrauch senken und ein zuvor latent vorhandenes sexuelles Interesse an Kindern wecken.
Bei der Kontaktaufnahme bleibe die Anonymität des Täters lange gewahrt, mit jedem neuen Versuch könne er zudem seine Identität ändern. Stewen: "Er muss nicht mehr hinter dem Busch sitzen und ein Kind beobachten." Pädokriminelle schrieben beispielsweise im Chat "ich suche ein hübsches Mädchen als Model", sagt Gisela Braun, Fachreferentin gegen sexuelle Übergriffe bei der in Köln ansässigen Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendschutz in Nordrhein-Westfalen. Mädchen fänden das meist "ganz toll" und seien zu Fotos in allen möglichen Posen bereit.
Untersuchungen hätten ergeben, dass Opfer in 50 Prozent der Fälle davon sprachen, "den Täter zu lieben", so Stewen. 74 Prozent seien mit Treffen trotz des offensichtlich sexuellen Hintergrunds einverstanden gewesen. Oft habe vor der Tat monatelanger Kontakt bestanden.
Nur selten geben Jugendliche Bescheid
Stewen hat es in seiner beruflichen Praxis noch nicht erlebt, dass ein jugendliches Opfer einen Pädokriminellen angezeigt hat. Er vermutet, dass häufig die Angst dahinter steht, dass Eltern den Zugang zum Internet verbieten könnten. Verbote seien jedoch sinnlos, sagt Ursula Enders vom Präventionsverein "Zartbitter" in Köln. Sie führten nur dazu, dass der Nachwuchs heimlich chatte und surfe. Gelegenheiten böten sich genügend.
Die Deutsche Kinderhilfe fordert eine Initiative von Schulen und Elternverbänden, um Eltern mehr Medienkompetenz zu vermitteln. Denn Angstmache ist nach Ansicht der Experten von "Zartbitter" ein schlechter Ratgeber. Sie schlagen das Einüben von kreativen und kindgerechten Formen des Widerstands gegen sexuelle Belästigung im Netz vor. Eltern könnten sich am besten ein Bild machen, wenn sie mit ihren Kindern ab und an gemeinsam Chatrooms besuchten.
Das Ausmaß der Pädokriminalität im Internet sei noch wenig erforscht, sagt Stewen. In der polizeilichen Kriminalstatistik sind die Ermittlungen wegen Beschaffung und Besitz von Kinderpornografie zwischen 1996 und 2006 von 663 Fällen auf 4.545 gestiegen. Die Dunkelziffer jedoch sei wesentlich höher.
Wie Pädokriminelle das Internet nutzen
"Unerträglich, was da so abgeht"
Das world wide web, kurz www, ist das virtuelle Land der unbegrenzten Möglichkeiten und Unmöglichkeiten: So werden Kinder und Jugendliche nach Einschätzung von Fachleuten in Internet-Chatrooms weit häufiger von Erwachsenen sexuell bedrängt, als Eltern ahnen.
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