Geklagt hatte eine 45 Jahre alte Lehrerin an einer Krankenpflegeschule, die seit 1990 mit einer Psychologin zusammenlebt. Ihr Wunsch, ein Kind zu adoptieren, lehnten die zuständigen Stellen Ende 1998 ab. Hauptgrund war das Fehlen eines väterlichen Bezugs für das Kind. Die französischen Gerichte hatten die Ablehnung durch alle Instanzen bestätigt. Auch der französische Staatsrat als oberstes Verfassungsgericht hatte die Beschwerde der Frau zurückgewiesen. Der Staatsrat hatte erklärt, Grund für die Adoptionsverweigerung sei 1998 nicht die sexuelle Orientierung der Frau gewesen, sondern das Kindeswohl.
"Fehlen männlicher Bezugsperson nur Vorwand"
Der Menschenrechtsgerichtshof wies diese Auffassung jetzt mehrheitlich zurück. Die Frau sei eindeutig wegen ihrer Homosexualität diskriminiert worden. Die französischen Gerichte hätten das Fehlen einer männlichen Bezugsperson als Vorwand benutzt.
Die Straßburger Richter erinnern daran, dass nach französischem Recht Einzelpersonen sehr wohl Kinder adoptieren dürften. Man habe die persönlichen Qualitäten der Frau, ein Kind aufzuziehen, nicht infragegestellt. Dass ihr die Adoption dennoch verweigert wurde, sei also nur als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention zu werten.
Adoption in Deutschland
In Deutschland dürfen Einzelpersonen ein Kind adoptieren. Auch homosexuelle Frauen und Männer können daher von verantwortlichen Stellen eine Adoptionserlaubnis erhalten. "Die Bewerberinnen erhielten die Adoptionserlaubnis in den für sie zuständigen Städten, hatten allerdings wenig Chancen, in Deutschland ein Kind vermittelt zu bekommen", schreibt die Senatsverwaltung Berlin in einer Veröffentlichung. Die Bewerberzahl für jedes zur Adoption stehende Kind ist groß. Sowohl die Adoptionsvermittlungsstellen als auch die zustimmungspflichtigen biologischen Eltern bevorzugten bei der Vermittlung traditionelle Lebensformen, heißt es in dem Text der Berliner Senatsverwaltung weiter.
Noch 2002 gegensätzliches Urteil
Noch 2002 hatte das Menschenrechtsgericht die Klage eines homosexuellen Franzosen abgelehnt, dem ebenfalls eine Adoption verweigert worden war. Die Richter urteilten damals mit vier zu drei Stimmen, dass die Staaten einen Ermessensspielraum in dieser Frage hätten.
Unter den Europarats-Mitgliedstaaten gebe es keine Übereinstimmung, ob Homosexuelle Kinder adoptieren dürften. Das Recht befinde sich hier in einer "Übergangsphase". Daher seien die nationalen Gerichte besser als der Menschenrechtsgerichtshof geeignet, die örtlichen Befindlichkeiten bei der Beurteilung heranzuziehen, so die Richter 2002.
Auf das Urteil beziehen sich auch jetzt mehrere Straßburger Richter in ihrer Begründung, warum sie gegen Urteil vom Dienstag stimmten. Die Unterschiede zu dem Fall von 2002 seien nicht klar begründet, erklärte der zyprische Richter Loukis Loucaides. Der slowenische Richter Bostjan Zupancic bemängelte, das Kindeswohl stehe nicht ausreichend im Mittelpunkt des Urteils.
Das Kind braucht Mutter und Vater
Das oberste zu schützende Interesse sei in jedem Fall das Interesse des Kindes, "das den schwächeren und schutzlosen Teil ausmacht", heißt es auch in einer Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls (162). Die Kirche spricht sich darin gegen die rechtliche Gleichstellung der homosexuellen Lebensgemeinschaften mit der Ehe aus und besonders gegen eine damit verbundene rechtliche Möglichkeit zur Adoption von Kindern. Den Kindern fehle "die Erfahrung der Mutterschaft oder der Vaterschaft", heißt es in dem 2003 veröffentlichten Text.
Europäischer Menschenrechtsgerichtshof spricht lesbischer Frau Adoptionsrecht zu
Recht im Umbruch
Frankreich hat laut Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs einer lesbischen Frau zu Unrecht eine Adoption verweigert. Die französischen Behörden hätten gegen das Diskriminierungsverbot und das Recht auf Familienleben verstoßen, urteilten die Richter am Dienstag in Straßburg. Sie sprachen der Frau 10.000 Euro Schadenersatz zu. Das Urteil erging mit zehn gegen sieben Stimmen durch eine Große Kammer des Gerichts. Erst 2002 hatte das Gericht die Klage eines homosexuellen Franzosen zur gleichen Frage abgelehnt.
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