Das Mädchen leidet an einer unheilbaren Gehirnentzündung und ist in seiner geistigen Entwicklung etwa auf dem Stand eines drei Monate alten Babys stehen geblieben. Mit dem Eingriff wollten die Eltern die Pflegesituation verbessern.
Mieth betonte, die Therapie sei ein Eingriff in die Unversehrtheit und Integrität der Person. Ein solcher Eingriff hätte allenfalls erwogen werden dürfen, wenn das Kind selbst sein Einverständnis dazu erklärt hätte.
Nach Ansicht des Moraltheologen muss zwischen Verständnis für die Eltern und Zustimmung zu den medizinischen Eingriffen unterschieden werden. Mieth mahnte, Politik und Gesellschaft dürften Eltern behinderter Kinder "nicht in eine isolierte Verantwortung zwingen" und sie den Möglichkeiten der Medizin überlassen. Nach Überzeugung des Moraltheologen muss der Sozialstaat ein Umfeld schaffen, in dem sich die Frage nach einer Behandlung wie im Fall Ashley erst gar nicht stellt.
Eingriff in Deutschland so nicht erlaubt
Eingriffe, wie sie bei dem neunjährigen behinderten Mädchen Ashley in den USA vorgenommen wurden, wären in Deutschland nach Expertenansicht nicht möglich. "Die Operationen kommen einer Sterilisation gleich und die ist bei uns per Gesetz bei Kindern verboten", sagte der Kinderarzt und Hormonexperte Dirk Schnabel vom Sozialpädiatrischen Zentrum der Charité Berlin der "Berliner Zeitung" (Dienstagausgabe). Schnabel zufolge erhalten die Eltern behinderter Kinder in Deutschland mehr Unterstützung - etwa von den Krankenkassen durch ambulante Pflege oder durch die Genehmigung von Hilfsmitteln.
Der Mediziner wies darauf hin, dass es sanftere Mittel gibt, die Pubertät bei Kindern zu verzögern. "Die drastischen und verstümmelnden Eingriffe wären wahrscheinlich nicht erforderlich gewesen", sagte Schnabel. Er sei überzeugt, dass Ashley ohnehin nicht viel größer als 1,55 Meter geworden wäre. Denn die Pubertät setzte
bei ihr früh ein - und dadurch wäre das Längenwachstum vermutlich auch schnell beendet gewesen.
Regelmäßig verstümmelnde Eingriffe um Lebensqualität zu verbessern
Positiver beurteilte der Kinderarzt und Vorsitzende der Ethik-Kommission der Akademie für Kindermedizin, Volker von Loewenich, den Eingriff: "Ich denke, er hilft, die Lebensqualität des Mädchens zu halten", sagte er der "Welt am Sonntag". In einer solchen grenzwertigen Situation müsse man versuchen, das am wenigsten Schlechte herauszuholen. Die Entscheidung der Eltern sei deshalb mit Respekt zu betrachten. Verstümmelnde Eingriffe seien an der Tagesordnung, um Leben zu retten oder Lebensqualität zu verbessern. Auf die Kritik, die Eltern spielten Gott und griffen in die Natur ein, sagte von Loewenich wörtlich: "Wenn wir Mediziner das nicht täten, würden 25 Prozent der Kinder und zehn Prozent der Mütter sterben."
In Deutschland würde die Staatsanwaltschaft ermitteln
Der Mannheimer Jura-Professor Jochen Taupitz hält die Behandlung Ashleys ethisch für nicht vertretbar. "Für mich ist das ein medizinischer Versuch an einem Menschen, der dazu selbst keine Einwilligung gegeben hat", sagte das Mitglied des Nationalen
Ethikrats dem "Mannheimer Morgen" (Dienstagausgabe). Es handele sich
um eine Körperverletzung. "In Deutschland würde in so einem Fall die
Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen", sagte der Ethikexperte.
Jeder Mensch habe ein Recht darauf, sich natürlich weiterzuentwickeln, selbst wenn das mit Schwierigkeiten für die Umwelt und den Betroffenen verbunden sei, betonte Taupitz. Bei Ashley sei in die natürliche Entwicklung des Kindes massiv eingegriffen
worden.
Deutsche Politiker kritisieren die Eingriffe
Hubert Hüppe, CDU-Bundestagsabgeordneter und Beauftragter der Unionsfraktion für die Belange behinderter Menschen, kritisierte die Eingriffe am Wochenende als Körperverletzung. In der "Frankfurter Rundschau" sagte Hüppe: "Wenn es bloß darum geht, die Pflege zu erleichtern, handelt es sich um einen klaren Verstoß gegen jegliches Ethos, eine Verstümmelung". In Deutschland wäre ein solcher Fall laut Hüppe nicht denkbar, auch mit Blick auf die massenhafte Ermordung Behinderter während der NS-Zeit.
Auch nach Ansicht von Volker Beck, Fraktionsgeschäftsführer und Menschenrechtsexperte der Grünen, ist die Behandlung des behinderten Mädchens "strafrechtlich und ethisch zu verurteilen".
Ein körperlicher Eingriff bei einem behinderten Menschen, der nicht der Heilung oder Linderung diene, sei eine klare Menschenrechtsverletzung, sagte Beck der "Netzeitung".
Marlene Rupprecht, Kinderbeauftragte der SPD, sprach gegenüber der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" von einem "gesellschaftspolitisch falschen Signal". Politik und Gesellschaft müssten Eltern vor solchen verzweifelten Entscheidungen bewahren. In derselben Zeitung nannte Jörg Rohde, Sprecher der FDP für Behindertenpolitik, die Behandlung eine "Verletzung der Würde eines Kindes".
Hilfen in Deutschland
Der Bundesverband Herzkranke Kinder informiert mit einer aktualisierten Broschüre über Hilfen für behinderte Kinder und ihre Familien. Die Broschüre gebe verständlich und umfassend Auskunft über sozialrechtliche Hilfen, wie den Schwerbehindertenausweis, Antrag auf Pflegegeld oder Fahrt- und Besuchskosten bei einem Klinikaufenthalt, erklärte der Verband am Dienstag in Aachen. Die Broschüre kann gegen Briefmarken im Wert von 1,45 Euro beim Bundesverband Herzkranke Kinder, 52066 Aachen, angefordert werden.
Unterstützung für Eltern mit behinderten Kindern in Deutschland besser als in den USA
Eingriffe wie bei Ashley in Deutschland nicht erlaubt
Der Tübinger katholische Moraltheologe Dietmar Mieth hat die Hormonbehandlung des neunjährigen Mädchens Ashley aus Seattle/USA verurteilt. Auf Wunsch der Eltern wurde dem Kind die Brustdrüsen und die Gebärmutter entfernt sowie hohe Östrogendosen verabreicht. Das sei eine nicht akzeptable Form von Verstümmelung, sagte Mieth am Montag auf Anfrage in Tübingen.
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