DOMRADIO.DE: Immer Ende September öffnet das Kloster Knechtsteden bei Dormagen seine Pforten für Spitzenensembles aus aller Welt. Das Festival Alte Musik Knechtsteden gehört seit Jahrzehnten zu den renommiertesten Veranstaltungen im Bereich der so genannten historischen Aufführungspraxis. In diesem Jahr wird das Klostergelände für eine Woche italienisch, denn Sie stellen programmatisch Neapel ins Zentrum Ihres Festivals. Warum?
Michael Rathmann (Leitung Festival Alte Musik Knechtsteden): Wir begehen in diesem Jahr den 300. Todestag von Alessandro Scarlatti. Er ist als italienischer Komponist eine der großen Ikonen, die die Barockwelt über mehrere Jahrzehnte geprägt hat. Und das ist unser Ausgangspunkt gewesen, weil Scarlatti eine sehr enge Beziehung zu Neapel hatte. Er hat dort lange gelebt und gelehrt. Von dort aus hat er fantastische Impulse in die gesamte Musikwelt gegeben.
Neapel ist musikalisch ohnehin sehr spannend, ob es den Instrumentenbau betrifft mit der Mandoline oder der Harpa Doppia, der Doppelharfe, der wir uns auch widmen werden in Konzerten. Von daher haben sich viele spannende Themen ergeben, weshalb wir gesagt haben: Ja, dieses Jahr setzen wir den Fokus auf Neapel und gehen in gewisser Weise in den Schatten des Vesuvs.
DOMRADIO.DE: Artist in Residence für das Festival ist wie vergangenes Jahr die Dirigentin und Blockflötenvirtuosin Dorothee Oberlinger. Außerdem treten berühmte Ensemble wie Concerto Köln auf und es wird auch wieder die "Romanische Nacht" als Konzert in der romanischen Klosterbasilika von Knechtsteden geben. Da steht diesmal ein eher unbekannter Komponist im Zentrum, der aber auch eine besondere Beziehung zu Neapel hat, nämlich Diego Ortiz. Wie müssen wir uns dieses Konzern vorstellen?
Rathmann: Diego Ortiz kommt eigentlich aus Toledo und war dann am vizeköniglichen Hof in Neapel als Kapellmeister angestellt worden. Das ist auch eine Besonderheit in Neapel gewesen, das die Stadt eine Art Drehkreuz war, durch das viele spanische kulturelle Einflüsse nach Italien und damit nach ganz Europa gekommen sind.
Diego Ortiz war in dem Sinne eine Art Katalysator. Er hat fantastische Werke geschrieben, hat selbst meisterhaft Viola da Gamba gespielt und dazu auch wichtige Lehrwerke herausgebracht. Die sind im Bereich der historischen Aufführungspraxis die Basis für viele heutige Musiker, die sich so entsprechendes Wissen aneignen wollen.
Wir widmen uns in der Romanischen Nacht einen ganzen Abend Diego Ortiz und seiner Zeit. Der hat fantastischen Werke in ganz farbenfrohen Besetzungen geschrieben, mit Serpenten, mit Viola da Gamba, mit Vihuela de Arco. Das sind fantastische Instrumente, die man sonst fast gar nicht hört. Dazu kommen filigrane Motetten, die er geschrieben hat. Er hat nämlich auch den damals vorherrschenden franko-flämischen Stil in seine Werke einfließen lassen, wobei sein Stil natürlich immer auch geprägt ist durch seine iberische Herkunft.
Das macht ihn als Komponisten so spannend, weil er viele Einflüsse seiner Zeit zusammenfasst und für Neapel besonders aufbereitet hat. Wir werden das Ensemble Comet Musicke hören. Das ist ein Ensemble, das relativ jung ist, und sich in voller Leidenschaft diesen Werken widmet. Das wird durchaus ein temperamentvoller Abend werden.
DOMRADIO.DE: Am 26. September, ab 20 Uhr ist die Romanische Nacht. Ihr Festival bleibt aber bei Neapel nicht stehen, sondern für das Abschlusskonzert gehen wir musikalisch nach Rom und zwar mit Scarlatti und mit Händel. Der Katholik Scarlatti war mehrfach in Rom aktiv. Aber warum war denn der Protestant Händel in Rom?
Rathmann: Wir wollen mit dem Konzert ein bisschen zeigen, wie sich die neapolitanischen Einflüsse in den musikalischen Zentren der Zeit weiterentwickelt haben. Scarlatti hatte in Rom vor Ort auch maßgeblich Einfluss auf den noch jungen Händel. Der war da zu einer Studienreise und hat ganz viel von diesen Einflüssen aufgesogen, die man auch später in seinen englischen Oratorien wiederfindet.
Wir wollen also das Beziehungsgeflecht dieser Zeit zeigen, die Entwicklungslinien der Zeit. Beim Konzert hören wir von Händel seine Psalmenvertonung "Dixit Dominus". Das ist eine seiner frühesten Chorkompositionen, die aber schon mit großer Raffinesse und Leidenschaft komponiert worden und zugleich höchst anspruchsvoll für den Chor ist.
Dem Werk stellen wir die Messa di Santa Cecilia von Alessandro Scarlatti gegenüber, die er damals zu Ehren von Cäcilia, der Schutzheiligen der Musik, geschrieben hat. Diese Messvertonung ist nicht minder virtuos und spannungsvoll wie die Musik von Händel auch. Da merkt man wirklich diese musikalischen Beziehungen und auch das freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Komponisten.
DOMRADIO.DE: Kloster Knechtsteden ist ja ein aktives Kloster Der Orden der Spiritaner überlässt Ihnen und den Musikerinnen und Musikern breitwillig das Klostergelände mit der Klosterbasilika. Was sollen denn die Besucherinnen und Besucher von den Konzerten in diesem Jahr mitnehmen? Was wäre denn so Ihr Wunsch, was vielleicht hängen bleiben könnte - neben der tollen Musik natürlich ...
Rathmann: Ich finde, Knechtsteden ist immer ein Ort der Entdeckungen. Einerseits haben wir dieses wunderbare Areal, in dem wirklich ein anderer Puls schlägt. Mir geht es immer so, sobald ich das Klostergelände betrete, ist man einfach ein ganz anderer Mensch. Und ich glaube, diese Atmosphäre vor Ort, gepaart mit dieser Musik, gerade mit der Chormusik oder der Ensemble-Musik, die wie geschaffen ist von der Akustik her für diesen Raum, da hoffe ich, dass die Leute für diese Momente, die sie bei uns erleben, in andere Welten entschwinden können.
Ob das jetzt unbedingt Neapel sein muss, das ist jedem selbst überlassen (lacht). Aber sich aus dem ganzen Trubel des Alltags zurückzuziehen und einfach ein paar gute Stunden hier bei uns vor Ort zu verleben, das erhoffe ich mir.
Das Interview führte Mathias Peter.
Das Interview in kompletter Länge wird im Radioprogramm von DOMRADIO.DE am Sonntagabend ab 20 Uhr in der Sendung Musica ausgestrahlt.