Zum Tag der Wohnungslosen am Donnerstag ruft der Berliner Obdachlosenseelsorger Wolfgang Willsch zum Hinschauen auf. "Immer mehr Menschen leben in Deutschland auf der Straße", sagte Willsch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Mittwoch. "Das ist offensichtlich und das ist jedem bewusst."
Seit langem hätten sich verschiedene Bundesregierungen zum Ziel gesetzt, die Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 in Deutschland zu überwinden. "Die Realität sieht aber anders aus", sagte Willsch. "Es werden immer mehr, und die Zustände sind unmenschlich und haltbar. Er forderte strukturelle Lösungen. Es gebe eine "Unmenge an Leuten" in Deutschland, die "nie einen Leistungsanspruch haben werden - da greift kein Programm".
Schwache geraten aus dem Blickfeld
Durch die vielen globalen Krisen stünden andere Probleme im Vordergrund, und die Schwächsten gerieten zunehmend aus dem Blickfeld, kritisierte er. Dennoch dürfe die Gesellschaft nicht wegschauen und müsse versuchen, diese Menschen zu sehen, die durch die sozialen Sicherungssysteme rutschen.
Mit Blick auf den Winter empfahl er, Obdachlose anzusprechen und aufzufordern, zeitnah eine Kältehilfe-Einrichtung aufzusuchen. Zudem dürften Menschen, die nicht ansprechbar seien, nicht ihrem Schicksal überlassen werden. "Im Zweifel bitte den Kältebus oder die Feuerwehr rufen", sagte er. Neben dem Tod durch Erfrieren drohen Obdachlosen vor allem Erfrierungen an Händen und Füßen sowie Lungenentzündungen.
Grundsätzlich gebe es keine pauschalen Lösungen, wie man obdachlosen Menschen unterstützen könne. "Das ist situativ. Gestern habe ich jemandem Geld in die Hand gedrückt. Und jemand anderem habe ich lieber ein Brot gekauft." Eine Möglichkeit sei, Obdachlose selbst zu fragen, wie man helfen könne. Dies signalisiere, dass man das Gegenüber ernst nehme. Allerdings solle man sich vorher klar machen, ob man je nach Antwort auch wirklich bereit sei, zu helfen, mahnte Willsch.
Steigende Zahl von Wohnungslosen
In Deutschland sind laut Angaben des Statistischen Bundesamts deutlich mehr Menschen wegen Wohnungslosigkeit untergebracht als bislang angenommen. Ende Januar lebten demnach rund 474.700 Personen in überlassenem Wohnraum, Sammelunterkünften oder Einrichtungen für Wohnungslose. Das waren acht Prozent mehr als im Vorjahr. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe geht sogar von rund 600.000 Menschen ohne eigene Wohnung aus.
Mindestens 50.000 Menschen leben demnach ganz ohne Unterkunft auf der Straße. Allein in der Hauptstadt seien es tausende Obdachlose. Hinzu komme eine unbekannte Dunkelziffer.