Kölner Original und Karnevalsgröße Ludwig Sebus wird 100 Jahre alt

"Ein liebenswürdiger, zugewandter und tief gläubiger Mensch"

Zeitlebens hat er den Menschen Freude geschenkt, obwohl er nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens stand. Nun sollte es zum 100. eine große Geburtstagssause geben. Doch Ludwig Sebus liegt nach einem erneuten Sturz im Krankenhaus.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Füreinander einstehen und Haltung zeigen ist Ludwig Sebus bis heute wichtig. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Füreinander einstehen und Haltung zeigen ist Ludwig Sebus bis heute wichtig. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"100. Geburtstag? Die Zahl sagt mir nichts. Wichtig ist, was man im Leben erlebt hat und welche Spuren man hinterlässt." Erst im Mai hat Ludwig Sebus dieses Zitat einem Journalisten in die Feder diktiert und noch hinzugefügt: "Ich habe keine Angst vorm Tod. Ich wünsche mir nur, dass es dann schnell geht und ich nicht lange leiden muss. Die seelische Haltung, die Zufriedenheit, ist das Wichtigste. Wenn man unzufrieden ist, zieht man die Krankheiten geradezu an." (Lesen Sie hier das Interview mit Ludwig Sebus.)

Er habe "schon schwere Malaisen, Pflegestufe vier", der menschliche Körper sei eben nicht für 100 Jahre gemacht – um die Tatsachen redet der stets Optimismus versprühende Senior nicht lange herum. Aber wichtig sei die Lebensfreude. "Ich brauche keine Bühne, keine Kamera und keine Öffentlichkeit mehr. Was ich brauche, sind Menschen an meiner Seite. Wenn ich Leuten mit meinen Erlebnissen und Erfahrungen helfen kann, dann freut mich das schon." Und bei den Menschen mache er keinen Unterschied – egal ob Bürgermeister oder Toilettenfrau. Meine Devise lautet: "Jeder braucht Anerkennung."

Alle Auszeichnungen der Stadt und darüber hinaus viele andere mehr hat Ludwig Sebus schon bekommen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Alle Auszeichnungen der Stadt und darüber hinaus viele andere mehr hat Ludwig Sebus schon bekommen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

An diesem Freitag vollendet der Kölner Krätzchensänger, Komponist und Textdichter sein 100. Lebensjahr. Seit Monaten wird dieser runde Geburtstag aufwendig geplant. Weniger von ihm selbst – "Meinetwegen müsste das alles nicht sein" – als von den vielen Menschen in der Stadt Köln, darunter vor allem Künstlerkollegen, die einen Menschen auszeichnen und ehren wollen, der sich selbst nie in die erste Reihe gestellt hat – und wenn, dann nur, um anderen von seiner positiven Weltsicht und rheinischen Frohnatur etwas abzugeben. Was rückblickend – zumal in den Nachkriegsjahren – fast einer Berufung gleichkommt. Denn seine Gabe, auch in krisengeschüttelten Zeiten nicht die Zuversicht zu verlieren und dem Leben trotz kriegsbedingter Traumata immer noch mit Humor zu begegnen, sich bei allem den Menschen zugewandt zu zeigen, macht sein Wesen aus. Das Leben feiern und dankbar sein – eine solche Überschrift könnte vielmehr über diesen 100 Jahren stehen. Dabei hätte Sebus allen Grund, auch Jahrzehnte später noch mit dem Schicksal zu hadern.

Überlebenskünstler und Menschenfreund

Denn eine unbeschwerte Jugend hat der im Belgischen Viertel geborene Ludwig nicht. Die Machtergreifung Hitlers 1933 wird seinen Werdegang nachhaltig prägen. 1943 muss er mit 18 Jahren zur Wehrmacht, nach dem Krieg gerät er in russische Gefangenschaft, aus der er erst 1949 ins völlig zerstörte Köln heimkehrt. Diese Zeit hat er nie vergessen. Im Krieg habe er mit ansehen müssen, so erzählt er, "wie die Leiber von Kameraden neben mir durch Granaten zerborsten sind und sie einen grausamen Tod gefunden haben". Vielleicht ist es gerade diese Erfahrung der Unmenschlichkeit, später die der Entbehrung – "die Russen haben uns geradezu systematisch verhungert" – die ihn auch zu einer Art (Über)Lebenskünstler, in jedem Fall aber zum Menschenfreund macht, der als Zeitzeuge des Grauens immer wieder gerne befragt wird – auch weil er bis heute seine Stimme erhebt, wenn er die Demokratie und die freiheitliche Grundordnung neu in Gefahr sieht. "Diese Freiheit im Denken und Handeln zu haben, sie aber auch immer wieder verteidigen zu dürfen und zu müssen, hat mir in den letzten 80 Jahren viel bedeutet", sagte er noch Anfang Juni gegenüber DOMRADIO.DE, zum Jahrestag des Kriegsendes befragt. "Wir können dieses Gut der Freiheit gar nicht hoch genug schätzen."

Bis ins hohe Alter hat Ludwig Sebus auf der Bühne gestanden. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Bis ins hohe Alter hat Ludwig Sebus auf der Bühne gestanden. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Noch mit 98 Jahren Friedenslied komponiert

Aussöhnung, Frieden, Gemeinschaft und Frohsinn werden dann auch seine Themen als Künstler, der zwar Industriekaufmann gelernt hat, Mitte der 50er Jahre aber seine Karriere als Krätzchensänger und Karnevalist startet. Er tritt regelmäßig auf Bühnen, im Fernsehen und im Radio auf, komponiert über 250 Lieder – darunter das berühmte "Luur ens vun Düx noh Kölle" und sein Friedenslied "Die wiesse Duuv", das er 2024 im Alter von 98 Jahren veröffentlicht. Selbst hochbetagt hat er der Gesellschaft noch etwas zu sagen, auch wenn er seine politische Botschaft gegen einen grassierenden Rechtsextremismus, primitive Lösungen in Migrationsfragen sowie gegen Neid und Hass immer fein verpackt.

Ludwig Sebus ist als Karnevalsgröße in den 50er Jahren durchgestartet, hier bei einer Sitzung der Ehrengarde. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ludwig Sebus ist als Karnevalsgröße in den 50er Jahren durchgestartet, hier bei einer Sitzung der Ehrengarde. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Heimat Köln bekommt viel Raum in seinen Liedern, 1954 landet er den ersten Hit mit "Jede Stein in Kölle es e Stöck vun deer", mit dem er unter anderem das Engagement der "Trümmerfrauen" ehrt, die einst mit bloßen Händen den Schutt wegräumten. Oft geht es um "uns kölsche Siel". Denn mit der kölschen Seele verbindet Sebus Werte wie "füreinander da sein, sich gegenseitig helfen und aufmerksam für die Nöte und Sorgen der anderen sein, Haltung zeigen". Das Leben sei ein Nehmen und Geben, sagt er. "Ich wünsche mir, dass die Menschen immer noch für andere Verantwortung tragen." Und auch dieses Zitat stammt von ihm: "Als ich in den Karneval kam, habe ich einen wichtigen Rat bekommen. Man darf sich nicht zu wichtig nehmen. Mit ‚Dreimol Kölle alaaf’ ist alles bezahlt, dann kommt die nächste Nummer."

Ludwig Sebus

"In jeder Phase meines Lebens hat mir der Glaube sehr geholfen. Auch in den schrecklichsten Situationen."

In alles spielt der Glaube mit hinein, ist wesentlicher Teil seiner Persönlichkeit. "In jeder Phase meines Lebens hat mir der Glaube sehr geholfen. Auch in den schrecklichsten Situationen meines Lebens – damals im Krieg – habe ich erfahren, dass es Wunder gibt, die mich vor dem Allerschlimmsten bewahrt haben. Aus dieser Gläubigkeit, aber auch Erkenntnis heraus, dass der Glaube eine große Stütze sein kann, wenn Menschen am Rande der Verzweiflung sind, habe ich versucht, diese Überzeugung auch an meine Kinder und Enkel weiterzugeben." Schließlich schätzt sich der Jahrhundert-Kölner glücklich, eine große Familie mit vier Kindern, neun Enkeln und acht Urenkeln zu haben. In zahlreichen Interviews, um die er in den letzten Wochen und Monaten gebeten wurde, hat die Musiklegende immer die Balance gehalten zwischen dem, was er im dunkelsten Kapitel seiner Biografie als Herausforderung erlebt hat – Hunger, Angst und Zerstörung – und dem, was ihm geholfen hat, nach dem Krieg zurück ins Leben zu finden: die Kraft der Musik und sein Glaube.

"Bei uns hat sofort die Chemie gestimmt", sagt Prälat Gerd Bachner über Freund Ludwig Sebus. / © Beatrice Tomasetti (DR)
"Bei uns hat sofort die Chemie gestimmt", sagt Prälat Gerd Bachner über Freund Ludwig Sebus. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Das Wichtigste sei gewesen, dass der Dom trotz des massiven Bombardements noch gestanden habe, erklärt er. "Wenn der Dom nicht mehr gewesen wäre, dann hätte es das Herz dieser Stadt getroffen und Köln wäre in seiner Bedeutung nicht das, was es heute ist. Der Dom ist nun mal das Zentrum und verleiht dieser Stadt zusammen mit den vielen anderen Sakralbauten und Zeugnissen aus römischer Zeit ihre Würde." Auch das formuliert Sebus im Domradio-Interview.

Gerd Bachner

"Uns verbindet der unerschütterliche Glaube an den einen barmherzigen Gott, Wertschätzung gegenüber den Menschen – unabhängig von Religion, Bildung und Kultur – sowie die Liebe zu Köln und zum Dom."

Einer, den er quasi über den Dom kennengelernt hat, ist Prälat Gerd Bachner, bis 2020 Dompropst an der Hohen Domkirche. Immer wieder sind sich die beiden bei Karnevalssitzungen, Festen und Feiern begegnet. Heute nennen sie sich gegenseitig Freunde. Die Chemie habe von Anfang an gestimmt, stellt Bachner fest, auf dessen 80. Geburtstag Sebus vor ein paar Monaten noch aufgetreten ist und die Gäste mit "Verzällcher" und Gesangseinlagen aus seinem Leben begeistert hat. "Uns verbindet der unerschütterliche Glaube an den einen barmherzigen Gott, Wertschätzung gegenüber den Menschen – unabhängig von Religion, Bildung und Kultur – sowie die Liebe zu Köln und zum Dom", so der Geistliche. Der Glaube an und die Hoffnung auf Gott sowie eine große Wertschätzung gegenüber den Menschen seien für den Freund wie zwei Brennpunkte einer Ellipse und die Eckpfeiler seines Lebens. "Ludwig Sebus ist ein liebenswürdiger, zugewandter und tief gläubiger Mensch, zudem ein begnadeter Sänger und Grandseigneur der kölschen Sprache." Wie auf kaum jemand anderen passe auf ihn das Goethe-Zitat "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut".

Geburtstagsfeier in der Philharmonie

Nun werde es zwar "eine Feier ohne ihn, aber mit ihm in unseren Herzen" geben. Er könne nur erahnen, was es bedeutet, wenn sich die ganze Freude auf den einen Tag richte, man selber aber nicht mit dabei sein könne. "Das tut mir von Herzen leid", so der frühere Dompropst. Seine Glückwünsche werde er nun ins Krankenhaus schicken, hoffe aber, "dass Ludwig schon bald wieder bei uns sein kann, um den Menschen auch weiterhin Freude zu schenken". 

Die gute Nachricht: Die für den 7. September von den beiden Karnevalisten Joachim Wüst und Michael Henn moderierte Feier in der längst ausverkauften Philharmonie findet statt. Dabei sein sollen Kasalla, die Bläck Fööss, JP Weber, Wicky Junggeburth, Et Klimpermännche und viele andere. "Ich bin auf jeden Fall bei euch", hatte der Jubilar noch vor gar nicht langer Zeit gescherzt. "Entweder von oben oder mit im Saal." Nun ist es ganz anders gekommen. Und das Lied "Alles su widder dun" – sein wichtigstes, wie er immer wieder betont hat, weil es alles über ihn aussage – müssen nun andere für ihn singen.

Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!