Vor 80 Jahren wurde in Treysa der erste Rat der EKD gegründet

Vom Provisorium zur Kirche

Nach dem zweiten Weltkrieg lag auch die evangelische Kirche in Deutschland in Trümmern. In Treysa haben Delegierte aus allen Landeskirchen über die Zukunft beraten und gründeten den ersten Rat der "Evangelische Kirche in Deutschland".

Autor/in:
Benjamin Lassiwe
EKD-Synode / © Katharina Gebauer (KNA)
EKD-Synode / © Katharina Gebauer ( KNA )

Es war nur wenige Monate nach der bedingungslosen Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands. Dort gab es außer den Kirchen keine größere Organisation, mit denen die Besatzungsmächte beim Aufbau des öffentlichen Lebens zusammenarbeiten wollten. Doch auch die evangelische Kirche lag in Ruinen. Der Kirchenkampf zwischen Bekennender Kirche und Deutschen Christen hatte sie zerrissen, die Leitungen der Landeskirchen waren teilweise kompromittiert.

Auf der einen Seite wollten die sogenannten Bruderräte um Martin Niemöller (1892-1984), die sich nach den Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem als legitime Vertretung der evangelischen Kirche betrachteten, diese von unten, von den Gemeinden her neu aufbauen. Auf der anderen Seite wollten die lutherischen Landeskirchen um den bayerischen Bischof Hans Meiser (1881-1956) schnellstmöglich eine einheitliche lutherische Kirche gründen. Das hätte die reformierten und unierten Kirchen außen vor gelassen.

Die erste "Treysaer Kirchenkonferenz"

Die polarisierten Lager und Mentalitäten an einen Tisch zu bringen gelang dem württembergischen Landesbischof Theophil Wurm (1868-1953) zusammen mit Friedrich von Bodelschwingh (1877-1946), Leiter der gleichnamigen Anstalten in Bethel bei Bielefeld. Gemeinsam luden sie ins nordhessische Treysa bei Schwalmstadt. Dort kamen Ende August 1945 nicht nur die 50 Geladenen, sondern gut 120 Delegierte aus allen deutschen Landeskirchen zur ersten "Treysaer Kirchenkonferenz" zusammen.

Im geografischen Zentrum der vier alliierten Besatzungszonen überlegte man, wie es mit dem deutschen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg weitergehen sollte. Es wurden schwierige Verhandlungen um Theologie, Macht, Recht und persönliche Beziehungen. Maßgeblich geprägt waren sie von zwei Antagonisten, Niemöller, dem prominentesten Vertreter der Bekennenden Kirche, und Württembergs Landesbischof Wurm. Diesem vor allem war daran gelegen, dass vor dem breit angelegten Treffen keine Fakten geschaffen würden, die einige ausschlössen.

Wichtige Fundamente der heutigen Kirche

Angesichts der Not im Land einigte man sich relativ schnell auf die Gründung eines Evangelischen Hilfswerks, aus dem später das Diakonische Werk hervorging. Schwieriger war es, für die so unterschiedlichen evangelischen Gemeinschaften, Traditionen und Organisationen eine gemeinsame Struktur zu schaffen. Denn erstmals konnte sich eine Kircheneinigung nicht an einer den staatlichen Struktur orientieren, sondern ging einer solchen voraus. Am Ende der ersten Tagung in Treysa aber stand am 31. August 1945 die Gründung eines Provisoriums: des ersten Rates der EKD.

Zum ersten Mal wurde dabei auch der Name "Evangelische Kirche in Deutschland" benutzt - denn den Begriff "Deutsch", so wie er vor dem Krieg im Namen der "Deutschen Evangelischen Kirche" benutzt wurde, sollte künftig hinten anstehen. "Deutschland" sollte nach den Verbrechen der Nazis nur noch eine geografische Bezeichnung sein. Zu einer kritischen Betrachtung des Verhaltens der Kirchen in der NS-Zeit konnte man sich jedoch noch nicht durchringen.

Allerdings gab der in Treysa eingesetzte Rat der EKD immerhin zwei Monate später in Stuttgart die "Schulderklärung der evangelischen Christenheit Deutschlands" ab. Darin bekannte die neu gegründete EKD erstmals eine Mitschuld deutscher evangelischer Christen an den Verbrechen des Nationalsozialismus.

Bis die EKD wirklich zu dem wurde, was sie heute ist, vergingen indes noch Jahre: Erst 1947 konnte man sich darauf einigen, dass die EKD ein Bund lutherischer, reformierter und unierter Kirchen sein sollte. Und ein Jahr später, 1948, kam erstmals die Synode der EKD zusammen. Dann erst wurde auch die Grundordnung der EKD in Eisenach verabschiedet. Immerhin: Schon dem ersten Rat der EKD gehörten neben Wurm und Niemöller auch mehrere Laien an, darunter der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann (1899-1976).

Gleichberechtigung und Frauenquote

Heute ist der Rat der EKD größer geworden: Statt 12 gehören ihm nun 15 Mitglieder an. Manche Prinzipien von damals gelten weiter fort: Unierte, Lutheraner und Reformierte sollten gleichermaßen in ihm vertreten sein, Laien und Ordinierte ebenso wie Vertreter aller geografischen Regionen der EKD.

Doch erst am 9. November 1989 sollte die in Bad Krozingen versammelte Synode der EKD Beschlüsse zur Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Kirche fassen. Erst seit damals gibt es eine Frauenquote von mindestens 40 Prozent in ihren Leitungsgremien. Erst 2009 erhielt die EKD mit Margot Käßmann ihre erste Ratsvorsitzende.

Ein Laie freilich hatten dieses Amt bislang noch niemals inne - auch wenn die Grundordnung der EKD an keiner Stelle eine Ordination für das Amt des Ratsvorsitzenden vorschreibt. Immerhin: Einmal schon gab es einen stellvertretenden Ratsvorsitzenden, der nicht zugleich leitender Geistlicher einer Landeskirche war: Nach dem Rücktritt Käßmanns, 2010, übernahm der NDR-Moderator Uwe Michelsen für eine Zeit das Amt des stellvertretenden Ratsvorsitzenden. Bei allen folgenden Wahlen allerdings setzten sich die Träger eines Amtes gegen das Priestertum aller Gläubigen durch.

Leitung und Verwaltung

Hauptaufgabe des Rates ist es übrigens, die Kirche zwischen den Tagungen der Synode "zu leiten und zu verwalten", wie es in der Grundordnung der EKD heißt. Zudem vertritt der Rat die EKD nach außen - wohlgemerkt: Der ganze Rat, auch wenn sich die öffentliche Wahrnehmung meist auf den oder die Ratsvorsitzende konzentriert. Und mit Verordnungen kann der Rat die Kirche auch dann leiten, wenn sich die Synode nicht versammeln kann - eine Regelung, die im Zuge der Corona-Pandemie ungeahnte Aktualität bekommen hat.

Verglichen mit Treysa vor 80 Jahren freilich hat sich die EKD in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt. Und erst vor einigen Jahren geschah etwas, was die Gründerväter der Evangelischen Kirche in Deutschland damals noch vehement abgelehnt hätten: Die Gremien der EKD ebenso wie die Synoden ihrer Gliedkirchen beschlossen mit einer Grundordnungsänderung, dass die EKD "als Gemeinschaft ihrer Gliedkirchen auch selbst Kirche" sei. Die Zeit des Kirchenbunds scheint damit wohl vorbei.

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist die Gemeinschaft der 20 evangelischen Landeskirchen in der Bundesrepublik. Wichtigste Leitungsgremien sind die EKD-Synode mit ihren Mitgliedern, die Kirchenkonferenz mit Vertretern der Landeskirchen sowie der aus ehrenamtlichen Mitgliedern bestehende Rat. Sitz des EKD-Kirchenamtes ist Hannover.

Synode der EKD / © Norbert Neetz (epd)
Synode der EKD / © Norbert Neetz ( epd )
Quelle:
KNA