Credo-Reihe: Woran Kolumba-Leiter Stefan Kraus wirklich glaubt

"Kunst kann dem Glauben eine Anschauung geben“

Auch Glaubende haben Zweifel. Trotzdem halten sie sich an etwas fest, das ihnen Kraft gibt und sie trägt – jenseits aller Dogmen und frommen Glaubenssätze. So hilft Kunsthistoriker Stefan Kraus bei seinem persönlichen Credo die Kunst.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
"Ich muss akzeptieren, dass Gott meine Vernunft übersteigt“, sagt Stefan Kraus.  / © Jonas Grahl (privat)
"Ich muss akzeptieren, dass Gott meine Vernunft übersteigt“, sagt Stefan Kraus. / © Jonas Grahl ( privat )

DOMRADIO.DE: Herr Dr. Kraus, wie stellen Sie sich Gott vor, und wann wird er für Sie erfahrbar?

Dr. Stefan Kraus (Leiter des Kölner Museums Kolumba): Gottes eigentliche Größe besteht meines Erachtens darin, dass er oder sie unvorstellbar ist. So schön die Angebote der Religionen sind, sich ihn in unserem Fall als Vater oder als Heiligen Geist in der Gestalt einer Taube vorzustellen, es sind Projektionen, die mehr über unser Bedürfnis aussagen, dem Gottesbegriff ein Gesicht zu geben, als über Gott selbst. Aber wie gut, dass unser Gott Mensch geworden ist. Das lässt mich an Christus glauben – als den Teil Gottes, der unter uns lebte, wie es in den Evangelien überliefert ist. Es schafft die Möglichkeit, Gott im Menschen, in seinem Denken, Fühlen und Handeln mit unseren Sinnen erfahrbar zu machen. Daher macht mir die Arbeit als Kunstvermittler nach wie vor soviel Freude. Denn Kunst ist das subjektivste Medium, das der Mensch in die Welt bringen kann, das über ihn Auskunft gibt und sich gleichzeitig von ihm entfernt. 

Es ist immer wieder eine Herausforderung, sich mit Gästen dem Fremden zu öffnen, andere Inhalte, Haltungen, Meinungen und Ansichten kennenzulernen und durch die gemeinsame Teilnahme an der Kultur "göttliche Momente" mit mir bis dahin unbekannten Menschen zu teilen. Wann das genau passiert, lässt sich nicht voraussagen. Wir feiern es in der Eucharistie, aber es kann jederzeit und überall da sein, wo man es am allerwenigsten erwartet. Ich habe mir vor einigen Jahren einen Text zum „Ästhetischen Augenblick“ abgerungen, also zu dem Moment, in dem wir durch ein Kunstwerk oder durch einen Moment der Begegnung ergriffen werden. Der ästhetische Augenblick lässt sich von einer spirituellen Berührung kaum unterscheiden, denn beides kann ich nicht einfordern und nicht erzwingen. Aber ich kann versuchen, eine Situation dafür zu optimieren. Dafür möchte ich offen sein. 

DOMRADIO.DE: Gab es schon Situationen, in denen Sie mit Gott gehadert oder Ihren Glauben infrage gestellt haben? Und wenn ja, was hat Ihnen da geholfen?

Dr. Stefan Kraus

"Natürlich gibt es Dinge, die uns die Sinnfrage stellen lassen, aber mit Gott hadern kann ich nicht.“

Kraus: Ich stelle meinen Glauben dauernd infrage, denn da ich Gott nicht beweisen kann, ist der Zweifel für mich untrennbar mit dem Glauben verbunden. Dadurch bewahrt mein Glaube eine Spannung, die mich darauf achten lässt, mein tägliches Handeln daran auszurichten. Am Ende eines Tages muss ich zu einer positiven Beurteilung kommen. Der Zweifel wird durch traumatische Erlebnisse genährt, die jeder von uns in seinem Leben zu verarbeiten hat. Die Begegnung mit Krankheit und Tod ist eines davon. In meiner frühen Jugend starb eine benachbarte Tante nach langem Leiden mit nur 34 Jahren, das hat mich auch in meinem Glauben an Gott sehr beschäftigt. Manchmal denke ich, die Welt sähe besser aus, wenn junge Menschen früher mit der Endlichkeit konfrontiert wären, denn es lehrt einen die Demut und steigert das Bewusstsein für die Einmaligkeit und den Wert des Lebens. 

Mit der Vorstellung, dass wir alle in Gottes Hand und in seinem Plan gebunden sind, habe ich meine eigenen Lebenskrisen bislang (über)leben können. Natürlich gibt es Dinge, die uns die Sinnfrage stellen lassen, aber mit Gott hadern kann ich nicht; ich muss akzeptieren, dass er meine Sinne und auch meine Vernunft übersteigt und ich daher nicht in allem einen Sinn finden kann. Vielleicht hadert Gott mit mir, wer weiß…

Schmerzensmann im Museum Kolumba.  / © Beatrice Tomasetti (DR)
Schmerzensmann im Museum Kolumba. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Seit 2008 leiten Sie das Kunstmuseum des Erzbistums Köln, dem eine 17-jährige Planungsgeschichte vorausging. Nun wird es 18 Jahre alt. Neben vielen architektonischen Auszeichnungen wurde es 2013 zum „Museum des Jahres“ gewählt. Ihre Jahresausstel­lungen wurden wiederholt als "Kulturereignis des Jahres" nominiert. Kolumba möchte jenseits aller Sparten und Spezialisierungen Fragen künstlerischer Gestaltung umfassend darstellen und als "Museum der Nachdenklichkeit" ein offenes Angebot zur Auseinandersetzung mit dem zur Kunst gewordenen Leben sein. Wie sehr steht das, was Sie ausstellen, im Dienst der Verkündigung? Anders gefragt: Hilft Kunst zu glauben?

Kraus: Selbstverständlich stehen wir im Dienst der Verkündigung. Das erklärt ja den Erfolg von Kolumba, wie es vor einigen Jahren in einer rheinischen Tageszeitung zu lesen war, "dass allein über ihre Einbindung in einen zeitgenössischen Kontext christliche Tradition langfristig vermittelt werden kann“. Die Kunst hilft mir insofern zu glauben, als sie dem Glauben eine Anschauung geben kann, ohne sein Geheimnis zu banalisieren. Denn was Kunst und Religion miteinander verbindet, ist ihre Unverfüg­barkeit. Wir bedienen uns der Worte, um etwas zu beschreiben, das uns im Wesentlichen weder über die Sprache noch über die Vernunft zugänglich ist. 

Dr. Stefan Kraus

"Es war eine der Gründungsabsichten, mit Kolumba das 'Aggiornamento’ des Zweiten Vaticanums einzulösen und auf zeitgemäße Weise Seelsorge mit den Mitteln eines Kunstmuseums zu betreiben.“

In den Religionen ist es der Glaube an unsere Verbindung zu höheren Mächten, in der Kunst die unauflösliche Spannung zwischen Sein und Erscheinen. Davon wird die kommende Jahresausstellung erneut berichten. Über die Vermittlung christlicher Tradition hinaus stellen wir dem Menschen ein ganzheitliches Angebot, das ihn für spirituelle Erfahrungen durchlässiger machen kann. Damit bekommt der Glaube eine Chance. Im Übrigen war es eine der Gründungsabsichten, mit Kolumba das "Aggiornamento" des Zweiten Vaticanums einzulösen und auf zeitgemäße Weise Seelsorge mit den Mitteln eines Kunstmuseums zu betreiben. Ob dieser Plan aufgegangen ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.

DOMRADIO.DE: Wie sehr wirkt sich das, was Sie tun, auf Ihren Glauben aus? Und umgekehrt: Wie notwendig ist der Glaube für Ihr Selbstverständnis, aber auch Ihr Wirken in Kirche und Gesellschaft?

Kraus: Ich kann Kolumba nur leiten und das Kunstmuseum der Kirche repräsentieren, weil ich glaube und mich selbst als Teil der Kirche auffasse; einer Kirche, die so viele Facetten hat, wie es sie braucht, um in einer aufgeschlossenen Gesellschaft präsent zu sein. Und gleichzeitig nehme ich selbst die Kraft dieses Ortes mit, an dem seit um 700 christlicher Glaube als Hochkultur gelebt worden ist. Wir lassen uns von der Resonanz tragen, die wir mit Kolumba täglich erfahren, zuletzt zum Beispiel bei dem musikalischen Wochenende "Book of Hours", das uns die Kunststiftung NRW finanziert hat. Das war eine grandiose Konzertinstallation, bei der zwei Tage lang in allen Räumen Gesänge und Kompositionen von Hildegard von Bingen bis John Cage erklangen. Zwar wurde in einigen Stücken unsere erschreckende Gegenwart mit Gewalt und Krieg zum Thema, aber insgesamt lag etwas Tröstendes in der Luft. Man konnte den Eindruck haben, das Gebäude selbst würde den Klang atmen. 

Dr. Stefan Kraus

"Unsere Zeit erfordert es mehr denn je, der Gesellschaft einen nichtkommerziellen Denk- und Empfindungsraum zum Ausgleich für erlittene Defizite zur Verfügung zu stellen.“

Als Kulturschaffende müssen wir die systemrelevante Funktion von Kultur für demokratische Gesellschaften einfordern und dürfen uns nicht als "freiwillige Leistung" kaputtsparen lassen. Denn wenn einer Gesellschaft die Kultur abhanden kommt, dann ist sie der alleinigen Orientierung nach Macht und Geld hoffnungslos ausgeliefert, dann gehen ihr mit dem freien Spiel und mit der Poesie auch der Glaube und die Humanität verloren. Unsere Zeit erfordert es mehr denn je, der Gesellschaft einen nichtkommerziellen Denk- und Empfindungsraum zum Ausgleich für erlittene Defizite zur Verfügung zu stellen. Als Kirche müssen wir hier vorangehen.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Quelle:
DR

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