DOMRADIO.DE: Wie genau sieht Ihr Labyrinth aus?
Mareile Preuschhof (Äbtissin im evangelischen Kloster Wennigsen): Es ist dem Labyrinth von Chartres nachempfunden. Wir haben es im Garten mit Sandsteinplatten angelegt, auf denen man gehen kann. Es ist kreisrund, in der Mitte liegt eine Rosette. In diesem Labyrinth gibt es tatsächlich nur einen einzigen Weg – anders als in einem Irrgarten, wo man sich ständig entscheiden muss.
Hier führt der Weg mit seinen Kehrtwendungen unweigerlich zur Mitte. Seit der Christianisierung des Labyrinths, besonders im Chartres-Labyrinth sieht man das sehr schön, sind die Wendungen so angelegt, dass sich darin ein Kreuz im Kreis erkennen lässt – also unser christliches Symbol.
DOMRADIO.DE: Sie bieten auch Workshops an, in denen Menschen eingeladen sind, das Labyrinth zu begehen. Wie muss man sich das vorstellen?
Preuschhof: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfahren dabei etwas von der Symbolkraft des Labyrinths. Während man durch das Labyrinth geht und alle Wendungen oder Umwege mitnimmt, kann man etwa über den eigenen Lebensweg nachdenken. Für spirituell Suchende kann es auch darum gehen, die eigene innere Mitte zu finden, die eigene Tiefe, theologisch gesprochen: die Gottesebenbildlichkeit.
Zu Beginn des Workshops stehen wir gemeinsam im Kreis um das Labyrinth, beten und singen ein Lied. Danach geht eine Person nach der anderen hinein – mit Abstand und in ihrem eigenen Tempo. Viele gehen sehr langsam, manche schneller, manche fast tanzend. Was geschieht, liegt nicht in unserer Hand. Die Erfahrungen sind sehr unterschiedlich, aber man merkt: Die Menschen gehen achtsam. Sie wollen wahrnehmen, was dieser Gang in ihnen bewegt.
DOMRADIO.DE: Erzählen die Menschen anschließend, was sie im Labyrinth erlebt haben?
Preuschhof: Ja, manchmal. Eine Frau hat zum Beispiel berichtet, dass sie auf dem Rückweg bei jeder Kehrtwende eine Station ihres Lebens bedacht und losgelassen hat. Sie empfand das als große Erleichterung. Das wirkt vielleicht nicht auf den ersten Blick besonders fromm, aber Vergangenes loszulassen ist eine sehr wichtige Übung auf dem spirituellen Weg.
Eine andere Teilnehmerin erzählte, wie befreiend es für sie war, dass der Weg vorgegeben ist – dass sie sich nicht ständig entscheiden musste, sondern einfach folgen oder sich ihm einfach hingeben durfte.
DOMRADIO.DE: Das klingt so, als wäre es eigentlich etwas, das jeder einmal ausprobieren sollte.
Preuschhof: Ja, wer achtsam mit seinem Leben und seiner Innerlichkeit umgeht, dem ist es sehr zu empfehlen, einmal eine Labyrinth-Erfahrung zu machen. Es gibt inzwischen erfreulicherweise immer mehr Labyrinthe in Deutschland – in Kirchen, oft auch draußen, teilweise sehr schön gestaltet.
DOMRADIO.DE: Im Sommer gibt es ja auch die Irrgärten in Maisfeldern. Könnte man dort ebenfalls seine innere Mitte finden?
Preuschhof: Irrgärten haben eine ganz andere Funktion. Sie dienen eher dem Vergnügen. Man kennt sie aus Schlossgärten, aber auch für das Volk wurden sie angelegt. Dort geht es um die Suche nach dem richtigen Weg: Man muss ständig Entscheidungen treffen und versuchen, den Überblick zu behalten. Das macht Spaß, gerade wenn man mit mehreren unterwegs ist. Aber es ist etwas völlig anderes als im Labyrinth, wo man sich dem Weg hingibt, keine ständigen Entscheidungen treffen muss und nicht überlegen muss, ob etwas richtig oder falsch ist – sondern einfach geht.
Das Interview führte Oliver Kelch.