KED veröffentlicht Tipps gegen Antisemitismus an Schulen

"Antisemitismus wird bagatellisiert"

Antisemitismus in Deutschland steigt und macht nicht vor den Klassenzimmern Halt. Die Katholische Elternschaft Deutschlands will darauf reagieren und erklärt, wie Schulen gegen Antisemitismus vorgehen können.

Autor/in:
Elena Hong
Davidsternanhänger in einer Kinderhand
Davidsternanhänger in einer Kinderhand

DOMRADIO.DE: Wie verbreitet ist Antisemitismus an deutschen Schulen?

Winfried Verburg (Geistlicher Beirat der Katholischen Elternschaft Deutschlands): Leider Gottes muss ich sagen, dass Antisemitismus an öffentlichen Schulen und an allen freien Schulen, die nicht in jüdischer Trägerschaft sind, normal ist. 

Winfried Verburg, Geistlicher Beirat der KED (KED)
Winfried Verburg, Geistlicher Beirat der KED / ( KED )

Das ist der Befund einer empirischen Untersuchung von Julia Bernstein, Professorin für Soziologie in Frankfurt. Diese Studie wurde 2020 vorgelegt, demnach schon lange vor dem 7. Oktober 2023. 

Bernstein kommt zu dem Ergebnis, dass es normal ist, dass Schülerinnen und Schüler und auch jüdische Mitarbeitende antisemitische Anfeindungen und Diskriminierungen in den Schulen erleben. 

Ein zweites Ergebnis der Studie ist eine eklatante Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung von antisemitischem Reden und Handeln seitens der Betroffenen und auf der anderen Seite der nichtjüdischen Lehrkräfte, die sie ebenfalls befragt hat.

Winfried Verburg

"Die Wahrnehmung insgesamt in der Schülerschaft, in der Elternschaft und auch in der Lehrerschaft ist noch nicht so, wie sie sein müsste."

DOMRADIO.DE: Beschäftigen sich Lehrkräfte demnach nicht genug mit dem Problem?

Verburg: Das würde ich sagen. Das betrifft nicht alle. Es gibt an allen Schulen hoch engagierte Lehrkräfte, die sich bemühen, entgegenzusteuern. Aber die Wahrnehmung insgesamt in der Schülerschaft, in der Elternschaft und auch in der Lehrerschaft ist noch nicht so, wie sie sein müsste.

Winfried Verburg

"Es geht so weit, dass Eltern ihre Kinder von der Schule nehmen müssen." 

DOMRADIO.DE:  Wo fängt Antisemitismus an? Kann man das festlegen und gibt es unterschiedliche Formen?

Verburg: Antisemitismus fängt da an, wo jüdische Mitglieder der Schulgemeinschaft diskriminiert oder beschimpft werden, weil sie Juden sind. Das kann das Schimpfwort "Du Jude" auf dem Schulhof sein, das können entsprechende Graffiti auf der Toilette oder einem anderen Ort der Schule sein. 

Das fängt niederschwellig an, geht aber so weit, dass Eltern ihre Kinder von der Schule nehmen müssen, weil sie erfahren, dass die Kinder und Jugendlichen keinen Rückhalt bei der Schulleitung finden. Es wird oft gesagt, dass es nicht so schlimm sei. Das geht auch aus der Studie von Julia Bernstein hervor. Antisemitismus wird bagatellisiert, relativiert oder auch dethematisiert. Das macht das Problem für die Betroffenen noch schlimmer.

Winfried Verburg

"Das Problem besteht nicht erst seit dem 7. Oktober 2023, sondern schon viel länger."

DOMRADIO.DE: Führt es dazu, dass sich manche nicht trauen, offen jüdisch zu sein mit und es lieber verstecken?

Winfried Verburg (Geistlicher Beirat der Katholischen Elternschaft Deutschlands): Das ist eine Erkenntnis, die ich schon vor 15 Jahren hatte. Als wir in Osnabrück diskutierten, ob wir eine Drei-Religionen-Grundschule einrichten wollen, hat der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde gesagt, dass viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde in der Schule nicht sagen würden, dass sie und ihre Kinder Juden sind, aus Furcht vor Diskriminierung. Das Problem besteht nicht erst seit dem 7. Oktober 2023, sondern schon viel länger.

Winfried Verburg

"Viele Schüler verwenden die Ausdrücke ohne den Kontext überhaupt zu kennen und zu verstehen."

DOMRADIO.DE: Wie sollten Lehrkräfte reagieren oder damit umgehen, wenn sie mitbekommen, dass ein Schüler oder eine Schülerin zum Beispiel beschimpft wird, als Jude diskriminiert wird oder unangebrachte Anspielungen fallen? Was würden Sie den Lehrkräften raten?

Verburg: Zuerst ist das Wichtigste, nicht wegzuhören, nicht wegzusehen, sondern sich damit zu befassen, mit den Schülerinnen und Schülern zu reden, die solche Ausdrücke benutzen. Man sollte sie erstmal fragen, warum sie das tun. Jugendliche und Kinder haben das Recht, Fehler zu machen. Sie sind keine Erwachsenen. Wir erleben auch, dass sie solche Stereotypen verwenden, weil sie sie irgendwo gehört haben. Das ist nicht selten in den sozialen Medien.

Kinder demonstrieren gegen Antisemitismus / © Markus Nowak (KNA)
Kinder demonstrieren gegen Antisemitismus / © Markus Nowak ( KNA )

Sie verwenden die Ausdrücke, ohne den Kontext überhaupt zu kennen und zu verstehen. Das ist auch die Erfahrung an Schulen, dass viele Schülerinnen und Schüler erstmal entsetzt sind, was sie überhaupt gesagt haben. Das ist das erste.

Es gibt auch Menschen in den Schulgemeinschaften, die das sehr bewusst tun. Hier ist es wichtig, dass die Schulen sich selbst Regeln geben, wie sie mit solchen Fällen umgehen. Sie sollten die einzelne Lehrkraft damit nicht alleine lassen. Es muss in der Schulgemeinschaft gesagt werden, wie die Schule mit Antisemitismus umgeht. Das betrifft die Eltern, die Schüler, aber auch alle Mitarbeitenden. Jedes Schuljahr muss das den neu in die Schule kommenden mitgeteilt werden, denn es gelingt nur, wenn alle an einem Strang ziehen.

Winfried Verburg

"Inklusive Schule heißt religiöse Differenzen zu inkludieren."

DOMRADIO.DE: Wie kann das funktionieren? Wie kann man das gelingend umsetzen? 

Verburg: Im Prinzip haben Schulen zwei Aufgaben. Die wichtigste Aufgabe ist, dass die Schule diskriminierungsfreie Bildungsteilhabe auch jüdischen Schülerinnen und Schülern ermöglicht. Das heißt, sie müssen die Schule besuchen können, ohne Angst vor Antisemitismen zu haben, die sie selbst erleben müssen. 

Dazu gehört auch eine diskriminierungsfreie Schulkultur. Schulen sollten beispielsweise die jüdischen Besonderheiten in der Lebensführung akzeptieren. Das heißt, beim Schulkalender einen Eltern- oder Grillabend nicht an einem Freitagabend zu machen, wenn der Schabbat schon begonnen hat. Dann exkludiert man jüdische Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern. 

Inklusive Schule heißt, religiöse Differenzen zu inkludieren. Ein diskriminierungsfreier Besuch der Schule ist die erste Aufgabe. Die zweite Aufgabe ist dann, antisemitismuskritische Bildung zu vermitteln.

DOMRADIO.DE: Das sieht wie aus?

Verburg: Das ist eine Aufgabe, die nicht nur einem Fach zugeordnet werden kann, sondern im Unterricht aller Fächer in der Schule stattfinden muss. Der frühere britische Oberrabbiner hat Antisemitismus mit einem Virus verglichen, der in immer neuen Mutationsformen vorkommt. 

Antisemitismus ist eine sehr alte Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und hat verschiedenste Varianten. Die älteste ist die des religiösen Antisemitismus, der uns auch als Christinnen und Christen betrifft. Schon in der ältesten Schrift des Neuen Testaments, im ersten Thessalonicherbrief, wird der Vorwurf erhoben, dass die Juden Gott mit Jesus umgebracht hätten, der verheerende Folgen in der Geschichte hatte.

Gleichzeitig finden wir im Neuen Testament aber auch andere Aussagen vom gleichen Autor. Paulus beschreibt das Bild vom Ölbaum, in den die Heiden neu eingepfropft sind, um einen Fremdkörper zu zeigen, der von der Wurzel und den Zweigen des Judentums lebt. 

Das ist eine wichtige Aufgabe, diesen religiösen Antisemitismus im jeweiligen Religionsunterricht zu bearbeiten, im christlichen, im islamischen oder in welchem anderen Religionsunterricht es noch gibt in der Schule. 

Die Publikation gibt es kostenlos zum herunterladen auf der Website des KED.

Das Interview führte Elena Hong.

Starke Zunahme von Antisemitismus an Schulen

Der Terror der Hamas in Israel heizt offenbar auch Konflikte auf deutschen Schulhöfen an. Seit dem Terrorkrieg der Hamassei an Schulen eine starke Zunahme von antisemitischen, israelfeindlichen und islamistischen Parolen zu beobachten, sagte die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, der Zeitung "Tagesspiegel". "Antisemitische Einstellungen und Verschwörungsmythen sind leider auch in muslimischen Communities weit verbreitet", so Ataman.

Die Publizistin Ferda Ataman nach ihrer Wahl zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung im Deutschen Bundestag. Ataman will Sonderregelungen für kirchliche Arbeitgeber einschränken. / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Die Publizistin Ferda Ataman nach ihrer Wahl zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung im Deutschen Bundestag. Ataman will Sonderregelungen für kirchliche Arbeitgeber einschränken. / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )
Quelle:
DR

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