"Weltrat Religionen für Frieden" beendet Treffen in Istanbul

"Interessieren wir uns wirklich füreinander?"

In Istanbul hat sich der "Weltrat Religionen für Frieden" getroffen. Zum Abschluss wurde ein "Rahmenwerk für gemeinsames heiliges Erblühen" vorgestellt. Dahinter verbirgt sich ein radikaler Perspektivwechsel.

Autor/in:
Marion Sendker
Vertreter verschiedener Religionen unterwegs (Archivbild) / © Christopher Beschnitt (KNA)
Vertreter verschiedener Religionen unterwegs (Archivbild) / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Unterschiedlicher Glaube, gemeinsames Handeln: Das ist kurz zusammengefasst die Philosophie des Weltrats Religionen für Frieden. Am Dienstag tagte der Rat mit mehr als 60 führenden Vertretern aus zahlreichen Religionen in Istanbul. Herausgekommen ist ein fünfseitiges "Rahmenwerk für gemeinsames heiliges Erblühen", das am Mittwoch vorgestellt wurde. Das erklärte Ziel ist eine "geteilte heilige Weltanschauung". 

Blick auf Istanbul mit dem Galataturm (m.) / © Hassan Jamal (KNA)
Blick auf Istanbul mit dem Galataturm (m.) / © Hassan Jamal ( KNA )

"Es geht nicht darum, eine neue religiöse Bewegung zu schaffen", erklärt der Co-Moderator im Weltrat, Emmanuel, Metropolit von Chalcedon. Ziel sei es stattdessen, die verschiedenen Stimmen zu vereinen, um eine bessere Zukunft zu gestalten. "Wir sind nicht allein in dieser Welt und deswegen sind wir nur stark, wenn wir zusammenhalten.” 

"Interessieren wir uns wirklich füreinander?"

Den Autoren geht es vor allem um das Wort "heilig". Damit verbunden ist eine Kritik am materiellen Zeitgeist, den der Weltrat als Produkt der Ausrichtung der vergangenen Jahrhunderte beklagt: Die Menschheit feiere sich als Herrscher einer ultimativen, materiellen Realität, sagt der Schatzmeister des Weltrats, Bob Boisture. "Das hat uns an den Rand des Zusammenbruchs geführt." Er findet, dass deswegen eine neue Frage in den Mittelpunkt gestellt werden müsse: "Interessieren wir uns wirklich füreinander?"

Die Co-Moderatorin des Weltrats, Kezevino Aram, nennt ein Beispiel. Zwar hätte jedes Land der Welt die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UNO) unterzeichnet, trotzdem sei die Zahl der vertriebenen Kinder derzeit so hoch wie nie. "Was sagt das über uns als globale Gemeinschaft aus, wenn wir ihnen nicht einmal das Minimum bieten können?", fragt Aram. Die Sorge um Ernährungssicherheit inmitten des Überflusses sei unethisch und ein Verbrechen gegen Kinder. "Während die ganze Welt verlangt, dass etwas getan wird, fehlt den Handlungen aber ein echter Konsens", sagt sie.

Gemeint ist eine gemeinsame, ethische Grundlage. Die fehle selbst bei der UNO, einem Kooperationspartner des Weltrats, bemerkt sein emeritierter Generalsekretär, William Vendley. "Wörter wie Liebe, heilig oder Vergebung kommen in den Entwicklungszielen der UNO nicht ein einziges Mal vor." Arbeitet die größte internationale Organisation an der Realität vorbei? Vendley glaubt eher an einen kaum vermeidbaren Geburtsfehler. "Zu Gründungszeiten konnte man nur einen Konsens über praktische Handlungen finden, nicht aber über eine gemeinsame Ethik, die diese Maßnahmen begründet."

Das "Heilige" als verbindende Grundlage auf dem Weg zum Frieden

Im Abschlussdokument der Tagung wird an eine Umfrage des Instituts PEW erinnert, wonach mehr als 80 Prozent der Menschen einen Sinn für "das Heilige" haben. Der Weltrat sieht darin eine verbindende Grundlage, die den Weg zu Frieden ebnen kann. Es ist ein radikaler Ansatz. Denn es gibt einige Beispiele von politischen Führern, die die Macht der Religion erkannt und sie in ihren institutionalisierten Formen als politisches Instrument zur Lenkung von Massen pervertiert haben. Das, was "heilig" ist, kann von Religion zu Religion etwas ganz anderes meinen. 

Symbolbild Religionen / © 9dream studio (shutterstock)

Laut dem Abschlussdokument ist Respekt für religiöse Vielfalt die erste Herausforderung auf dem Weg zu einer "geteilten heiligen Weltanschauung". Der emeritierte Generalsekretär Vendley erklärt, dass viele Mitglieder des Weltrats aber durch gelebten Respekt und die Erfahrung des religiös Anderen ihren eigenen Glauben vertiefen konnten. Das spreche für diesen Ansatz. 

Die Bilanz der Arbeit des Weltrats unterstützt die Annahme. Ihre Mitglieder arbeiten viel im Hintergrund, schaffen Friedenspläne, organisieren Gespräche zwischen verfeindeten Gruppen, treffen Scheichs und Könige des Mittleren Ostens, Stammesführer afrikanischer Länder und planen Austauschprojekte für Jugendliche. So konnten in der Vergangenheit zum Beispiel Konflikte in Uganda, Liberia und Sierra Leone beendet werden.

Sorge mit Blick auf Gaza und die Ukraine

Aktuell sehe man mit Sorge vor allem auf die Situation in Gaza, sagt Generalsekretär Francis Kuria. "Das sinnlose Töten muss aufhören." Dasselbe gelte für den Krieg in der Ukraine, durch den neben Zivilisten auch zahlreiche Soldaten umkommen würden. Kuria fordert einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand, damit Friedensverhandlungen beginnen können. Auch die Unruhen in Myanmar und im Sudan nennt der Generalsekretär.

Rauch über Gaza / © ImageBank4u (shutterstock)

In den genannten Ländern versuche der Weltrat, religiöse Führungspersonen zusammenzubringen. Aus dem Dialog könnten gemeinsame Vermittlungsbemühungen geschaffen werden, um schließlich politische Kriege und Krisen zu beenden, erklärt Kuria und nennt ein aktuelles Beispiel: "Zwischen Russland und der Ukraine sehen wir, dass sich die Herzen langsam öffnen und dass ein weiterer Kontakt religiöser Führungspersonen beider Länder möglich ist."

Ähnliche Bemühungen gebe es für Myanmar, wo man einen nationalen Dialog anstoßen will. Auch im Nahostkonflikt ist der Weltrat laut Kuria im Hintergrund vermittelnd aktiv. Über Details könne er aber zu diesem Zeitpunkt nicht sprechen. "Es braucht noch etwas Zeit und Vertraulichkeit, um voranzukommen."

Quelle:
DR

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