"Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", heißt es bei Hermann Hesse.
So erging es auch einer Bonner Pfarrei, die zu den ersten katholischen Gemeinden überhaupt in Deutschland zählte, die schon Anfang 2014 eine syrische Großfamilie aufnahm. Das war ein Jahr vor der großen Flüchtlingswelle und Angela Merkels berühmten Ausspruch: "Wir schaffen das".
"Keine Ahnung, wie das alles funktionieren sollte"
Pastoralreferent Guido Zernack bezeichnet es heute als "Glücksfall, dass wir damals so früh dran waren". Der 63-Jährige koordinierte in den ersten eineinhalb Jahren die Hilfe für die 27 Menschen, die dem Bürgerkrieg entkommen waren. Zugleich hatte er "keine Ahnung, wie das alles funktionieren sollte".
Denn staatliche Hilfe für Geflüchtete gab es erst ab Sommer 2015; die Gemeinde musste die laufenden Kosten von monatlich 10.000 Euro bis dahin selbst tragen. Dank großzügiger Spenden sei dies gelungen.
"Sogar aus den USA kam Geld, nachdem jemand im Internet über unsere Hilfsaktion gelesen hatte", erinnert sich Zernack. Das Erzbistum Köln unterstützte das Projekt mit weiteren 30.000 Euro.
Unerwartete Unterstützung
Die Hilfe habe die Menschen in der Gemeinde Sankt Rochus und Augustinus zusammengeschweißt. Und nicht nur sie. Plötzlich wurde Hilfe von Menschen angeboten, die gar nicht mit der Gemeinde verbunden waren.
Es hätten sich Leute von dem Projekt angesprochen gefühlt, die vorher nie in der Kirche waren, nun aber ihr Know-how einbrachten. So gab es jemanden, der engen Kontakt zur Botschaft hatte und Flugtickets organisierte, Journalisten, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmerten, oder auch Menschen, die ihren Familienbus für den Transport von Spenden bereitstellten.
"Es engagierten sich ganz andere, als die, die ich auf dem Schirm hatte"
"Es engagierten sich ganz andere, als die, die ich auf dem Schirm hatte", erinnert sich Zernack. Und da sich so viele eingebracht hätten, habe es funktioniert.
Weil die Gemeinde eine Art Vorreiter war, wurde auch die Deutsche Bischofskonferenz auf das Engagement der Bonner aufmerksam. Zernacks Expertise war gefragt. So berichtete er seinerzeit Bischöfen aus ganz Deutschland von der Erfolgsgeschichte.
Im Sommer 2015 standen viele weitere katholische Gemeinden vor ähnlichen Herausforderungen wie Wohnungen finden, den Geflüchteten Deutschkurse anbieten und ihnen bei der Integration helfen, Kindergartenplätze organisieren und Kinder auf den Schulbesuch vorbereiten.
"Ganz anders als gedacht"
"Das Ganze konnte man nicht planen", blickt Zernack auf die anstrengende Zeit zurück. "Hätte ich es vorher gewusst, ich hätte es nicht gemacht." Denn nach anfänglicher Euphorie seien auch Ernüchterung, Missverständnisse und Enttäuschungen eingetreten.
Einige der Engagierten empfanden ihre Schützlinge als undankbar oder wenig kooperativ. "Das ist eben so, wie wenn man ein Kind erwartet, auf das man sich freut und das dann doch ganz anderes ist als gedacht."
"Alle haben inzwischen gut Fuß gefasst"
Trotz aller Aufs und Abs, das Flüchtlingsprojekt der Gemeinde war ein Erfolg. "Alle haben inzwischen gut Fuß gefasst und wollen nicht mehr in ihre alte Heimat zurück", berichtet Zernack.
Etwa der Chirurg, der damals flüchten musste, nachdem ihn Freunde verraten hatten, weil er nicht nur Anhänger des Assad-Regimes, sondern auch dessen Gegner behandelt hatte. "Wie soll er wieder in seiner alten Heimat leben?"
Wie der Mediziner haben inzwischen alle Erwachsenen haben eine feste Arbeit gefunden; einige der Frauen engagieren sich in der ökumenischen Flüchtlingshilfe, die Kinder gehen ihren Weg ins Leben.
"Es hat Klick gemacht"
Und eine weitere wichtige Erkenntnis hat der Pastoralreferent aus dem Projekt mitgenommen. Gemeinde kann auch anders funktionieren. "Es müssen gar nicht alle katholisch sein, die mitmachen". Damals habe es "klick gemacht", erinnert sich Zernack. Die Idee: "Menschen zu begeistern für etwas, für das sie ohnehin brennen".
Heute arbeitet er häufiger nach diesem Konzept. Menschen mit ihren Interessen und Ressourcen für die Gemeinde gewinnen, statt ihnen eigene pastorale Konzepte überzustülpen.
Zernack nennt es das "Kühlschrankprinzip". Statt vor dem Kochen einen Einkaufszettel zu schreiben und dann ins Geschäft zu gehen, "einfach in den Kühlschrank schauen und daraus etwas zubereiten. Das hat die Pfarrei und das Miteinander verändert."