Credo-Reihe: Woran die Schriftstellerin Husch Josten wirklich glaubt

"Das Leben ist ein großartiges Gottesgeschenk"

Auch Glaubende haben Zweifel. Trotzdem halten sie sich an etwas fest, das ihnen Kraft gibt und sie trägt – jenseits aller Dogmen und frommen Glaubenssätze. So hilft Husch Josten bei ihrem persönlichen Credo das Schreiben.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Husch Josten  / © Judith Wagner (privat)
Husch Josten / © Judith Wagner ( privat )

DOMRADIO.DE: Frau Josten, wie stellen Sie sich Gott vor, und wann wird er für Sie erfahrbar?

Husch Josten (Journalistin und Schriftstellerin): Als Kind hatte ich die Vorstellung von Gott, die mir durch Bilder vermittelt wurde: auf einer Wolke der Mann mit dem langen Bart – wie beispielsweise in der "Erschaffung Adams" von Michelangelo. Bald schon wurde aber die Frage, woher denn die Künstler über Gottes Aussehen Bescheid wissen wollten, lauter in mir. Und dann hörte ich diesen Satz: "Du sollst Dir kein Bild machen …" Das Bibelwort erschien mir nachvollziehbar, auch wenn hier die Anbetung von "Götzenbildern" gemeint ist, während die Kirche Abbildungen Gottes als Hinweise auf das Göttliche versteht: Man betet nicht die Statue an, sondern mit Hilfe der Statue zu Gott. Trotzdem hat mir der Satz aus der Seele gesprochen, denn ich fand schon damals und finde auch heute noch, dass Gott unfassbar ist. Wie sollte ein Abbild des Unfassbaren aussehen? Eine Person? Wäre sie dann männlich, weiblich, genderfluide, intergeschlechtlich? Kein Mensch kann das wissen. Für mich ist Gott die allumfassende Kraft, von der in jedem Menschen, in der Natur, in unserem gesamten Kosmos ein Stückchen steckt. 

Erfahrbar wird dieses Göttliche für mich im Bewusstsein, dass wir über Sinn und Unsinn des Lebens nichts wissen. Sicher erscheint mir nur, dass es etwas wesentlich Bedeutenderes als uns gibt. Erfahrbar wird das Göttliche für mich aber auch in der Schönheit der Natur. In Momenten unbeschreiblicher Größe: der Geburt eines Kindes oder im Sterben eines nahen Menschen. Einen göttlichen Funken spüre ich beim Hören wunderbarer Musik oder beim Lesen eines umwerfenden Buchs. Und manchmal auch in ganz kleinen Dingen – Zufällen beispielsweise. Denn wir wissen ja dank Anatole France: "Zufall ist das Pseudonym Gottes, wenn er nicht selbst unterschreiben will."

DOMRADIO.DE: Gab es schon Situationen, in denen Sie mit Gott gehadert oder Ihren Glauben infrage gestellt haben? Und wenn ja, was hat Ihnen da geholfen?

Husch Josten

"Das alles ist das Leben. Und das Leben ist verrückt, wendig, tragisch, schmerzhaft, komisch, grausam, schön – da gibt es nichts zu verstehen, sondern nur zu leben."

Josten: Natürlich habe ich gehadert: Als der Sohn einer Freundin im Freibad beim Spielen mit anderen Kindern ertrunken ist. Beim Tod meines besten Freundes, der mit 39 Jahren durch ein Aneurysma aus dem Leben gerissen wurde. Während der langen Krankheit meines Vaters. In diesen Momenten habe ich immer und immer wieder nach dem Warum gefragt. Bis ich irgendwann für mich erkannte, dass ich eine Frage stelle, auf die es keine Antwort gibt. Das alles ist das Leben. Und das Leben ist verrückt, wendig, tragisch, schmerzhaft, komisch, grausam, schön – da gibt es nichts zu verstehen, sondern nur zu leben. Und dieses Leben eine Zeit lang leben zu dürfen, ist, finde ich zumindest, ein großartiges Gottesgeschenk. 

DOMRADIO.DE: Die Freude am Wort, die Leidenschaft fürs Schreiben, haben Sie zu Ihrem Beruf gemacht. Damit wollen Sie die Menschen berühren. Mit Ihrem jüngsten Buch "Die Gleichzeitigkeit der Dinge", das sich mit Alter, Sterben und Tod beschäftigt, ist Ihnen das scheint’s gelungen, wie die Verkaufszahlen belegen. Erleben Sie, dass Sie die Menschen zum Nachdenken bringen – auch über die letzten Dinge? Und welche Rolle spielt da Gott?

Josten: Ich freue mich sehr, dass "Die Gleichzeitigkeit der Dinge" viele Menschen berührt, dass viele Leserinnen und Leser schreiben, dass ihnen das Buch geholfen oder sie getröstet hat, dass sie jetzt anders über das Leben und den Tod nachdenken. Es war nicht meine Absicht – ich wollte nur die Geschichte erzählen, Fragen nachgehen, die mich selbst beschäftigen. Umso mehr freut man sich natürlich über eine solche Resonanz. So wie bei "Land sehen", einem Buch, das 2018 erschienen ist. Dieser Roman beschäftigt sich explizit mit dem Glauben, mit der Frage, woran man glaubt. Auch da gab es, zu meiner Freude, eine enorme Resonanz von Atheisten, Agnostikern, Anhängern verschiedenster Religionen; oft eine Neubetrachtung der eigenen bisherigen Antworten. 

DOMRADIO.DE: Wie sehr wirkt sich das, was Sie tun, auf Ihren Glauben aus? Und umgekehrt: Wie notwendig ist der Glaube für Ihr Selbstverständnis, aber auch Ihr Wirken in Kirche und Gesellschaft?

Husch Josten

"Für mein Selbstverständnis ist mein Glaube insofern wichtig, als er mit einem festen Gottvertrauen einhergeht, das für eine gewisse Gelassenheit und Demut sorgt."

 

Josten: Was ich in meinen Büchern tue – Fragen stellen, auf die es nie nur eine und schon gar keine endgültige Antwort gibt – wirkt sich dann auf meinen Glauben aus, wenn er dadurch herausgefordert wird: durch Recherchen, durch Gespräche, durch neue Impulse. Es gibt sie nicht, die eine Wahrheit, das ist klar. Aber ist meine Wahrheit unter diesen und jenen Aspekten für mich (noch) stimmig? Das finde ich spannend. Für mein Selbstverständnis ist mein Glaube insofern wichtig, als er mit einem festen Gottvertrauen einhergeht, das für eine gewisse Gelassenheit und Demut sorgt. 

Was mein Wirken in der Gesellschaft angeht, da sorgt mein Glauben für die tiefe Überzeugung, dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist. Das wiederum bedeutet, dass mein Glaube an Gott mir im Hinblick auf die Kirche sagt, dass sie ihre Glaubwürdigkeit in weiten Teilen verloren hat. Die Amtskirche zeigt sich in vielen gravierenden Fragen, was Menschlichkeit und Aufrichtigkeit, Würde und Nächstenliebe angeht, Fragen also, die nach eigenem Bekenntnis ihre Kernkompetenz sein sollten, nicht als die moralische Instanz, die zu sein sie vorgibt.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Quelle:
DR

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