Himmelklar: Dadurch, dass Sie eben kein Kunsthistoriker sind, hatten Sie einen ganz anderen Zugang zu der Kunst und auch zu der Kunstvermittlung. Haben Sie damals schon Rückmeldungen von Besucherinnen und Besuchern bekommen, die dann gesagt haben: "Mensch, das war mal so was ganz Ungewöhnliches, was ganz Neues für uns"?
Dr. Guido Schlimbach (Theologe und künstlerischer Leiter der Kunst-Station St. Peter in Köln): Das ist tatsächlich so. Das haben mir einzelne Künstlerinnen und Künstler auch immer wieder gesagt. Und das habe ich natürlich auch ein bisschen von Pater Friedhelm Mennekes abgeguckt. Auch Mennekes war kein Kunsthistoriker, sondern er hat aus eigenem Blick heraus die Kunst wahrgenommen und vermittelt. Da war er mir ein guter Lehrmeister, mit einem Blick auf die Kunst und auf eine niedrigschwellige Art, sie den Menschen zu vermitteln.
Es nützt nichts, die Leute mit kunsthistorischen Fakten zu versorgen, wenn sie selber diesbezüglich gar kein großes Interesse haben. Sie wollen ja erfahren, sie wollen ja sehen. Und dieses Hingucken, dieses den Leuten Hilfestellung geben oder eigene Inspiration geben, zu zeigen, "schau doch mal so auf dieses Bild" oder "Wie erlebst du die Skulptur?", also dass man Fragen stellt und sie selber reden lässt, das haben die Künstlerinnen und Künstler tatsächlich immer sehr geschätzt.
Ich erinnere mich, da hatte mich ein britischer Künstler, Ian McKeever, eingeladen, einen Katalogtext für ihn zu schreiben. Es war ihm ganz wichtig, dass ich das aus meiner Perspektive von St. Peter machte. Und als ich diesen Text fertig hatte, rief die Galeristin an und sagte: Ja, aber du hast da so einen komischen theologisch-historischen Einstieg genommen, das hat ja mit der Kunst überhaupt nichts zu tun, den Teil würde ich weglassen. Woraufhin ich einen Anruf aus England bekam: "Auf keinen Fall, das muss unbedingt drinbleiben, denn das war mir ja genau wichtig, mal aus einer anderen Perspektive meine Malerei wahrzunehmen".
Himmelklar: Wenn ich an Kunst in einer Kirche denke, dann schwingt immer auch ein bisschen die Frage mit, was Kunst darf und welche Kunst man in einer Kirche zeigen und ausstellen darf. Könnte jedes Kunstwerk in St. Peter präsentiert werden?
Schlimbach: Das ist eine interessante Frage, denn die ist in den letzten Jahrzehnten wahrscheinlich immer mal wieder an Pater Mennekes oder auch an mich herangetragen worden.
Ich würde sagen: nein. Zum Beispiel religiöse Kunstwerke würden wir in St. Peter nicht zeigen. Das ist tatsächlich für uns ein Ausschlusskriterium. Pater Kessler, unser jetziger Pfarrer, sagt immer: Religiöse Kunst haben wir doch, die brauchen wir ja nicht.
Wir wollen die Kunst nicht verzwecken, wir wollen nicht, dass die Kunst uns unseren Glauben illustriert, dass sie das, was wir im Evangelium lesen, verhübscht und dass wir das dann noch mal irgendwie auf diese Art und Weise erläutert bekommen. Das ist überhaupt nicht unser Ansatz. Das können Sie in jeder anderen Kirche auch zeigen. Das interessiert uns überhaupt nicht.
Uns interessieren tatsächlich Künstlerinnen und Künstler, die aus völlig anderen Richtungen kommen, die bis dato vielleicht auch gar nicht mit Kirche in Berührung gekommen sind, die aber fasziniert auf diesen Raum reagieren und diesen Raum auch völlig anders wahrnehmen. Die Palette der Art, wie sie das wahrnehmen, ist sehr unterschiedlich. Das reicht von ganz naiv bis hin zu hochkomplex oder auch abwehrend – skeptisch, aber natürlich immer sehr beeindruckt von der Architektur und von der erlebbaren Andersartigkeit dieses Raums, der ja leer ist.
Indem wir keine Kirchenbänke stehen haben, sondern indem die Menschen den Raum betreten und für sich ergehen, können sie sich eine Position suchen, die für sie passt. Und dort können sie den Raum, aber auch die Kunst erleben. Das gilt sowohl für die Künstlerinnen und Künstler, die ihre Kunst da hereinbringen, als auch für das Publikum, das dann auf diese Kunst reagiert.
Und natürlich schauen wir bei den Positionen, die wir einladen, ob es "zu uns passt", also was uns da besonders interessiert, welche Fragestellung diese Künstlerinnen und Künstler bewegt und welche Art von Kunst sie machen.
Je illustrativer das ist, umso skeptischer sind wir, denn wir vertreten schon die Auffassung zu sagen: Liebes Publikum, seid skeptisch bei den Bildern, lasst euch von ihnen anrühren, lasst euch faszinieren und ansprechen und setzt euch mit ihnen auseinander. Aber, wie Pater Mennekes immer sagte: "Geht ihnen nicht auf den Leim". Denn jede Kunst, jedes Bild gibt ja nur unzureichend die Realität wieder, aber das Beschenkende, das Beglückende dabei ist ja, dass sie eine Realität vermittelt, die weit darüber hinaus geht.
Himmelklar: Können Sie mal ganz konkret eines dieser Kunstwerke beschreiben, die Sie in St. Peter hatten, das vielleicht ein gutes Beispiel ist?
Schlimbach: Vor zwei Jahren haben wir ein Werk von Martin Gerwers gezeigt, ein Düsseldorfer Bildhauer. Ich habe ihn immer als Maler wahrgenommen, er macht Skulpturen, aber wenn Sie seine Skulpturen sehen würden, die sehr flächig und sehr verschieden farbig sind, diese Skulpturen habe ich als Malerei erlebt.
Wir haben ihn eingeladen und gefragt, wie er St. Peter in den Griff nehmen würde und was er sich ausgedacht hat. Das war schon atemberaubend.
Sie müssen sich vorstellen, wir haben eine Deckenhöhe von, ich sage mal, 18 bis 20 Metern, und er hat im Grunde genommen zwei Pylone geschaffen, ganz flach aufragende, sehr spitz zulaufende Pyramiden in der halben Höhe des Raumes.
Eine dieser Pyramiden haben wir mit großem Aufwand unter die Decke gezogen, sodass die Spitze in den Raum hineinragte. Und die zweite Pyramide haben wir da drunter gestellt.
Das war eine der aufwendigsten Installationen, die ich begleitet habe. Aber der Martin hat ein super Team mitgebracht. Der hat einen Assistenten mitgebracht und seine Bandkollegen – er macht auch Musik – alle haben geholfen. Mit zwölf Männern haben wir diese Dinge bewegt und installiert.
Und Sie standen dann vor dieser riesig aufragenden Pyramide. Oben schienen sich die Spitzen zu berühren. Wenn man genau hinschaute, sah man, sie berührten sich tatsächlich nicht. Es ist fast so, als würde dort ein Funke entstehen, weil diese beiden Pyramidenspitzen sich wirklich Millimeter weit verfehlen und dann aber trotzdem irgendwie zusammen gesehen werden.
Himmelklar: Wer kommt zu Ihnen nach St. Peter? Sind das eher Menschen, die gerne die Kunst betrachten wollen oder kommen die Menschen, weil sie bewusst in eine Kirche gehen möchten?
Schlimbach: Wir haben ja alles dort. Pater Kessler spricht gerne von unseren drei Gemeinden, die wir haben. Wir haben natürlich die Gottesdienstgemeinde, dann haben wir die Musikgemeinde. Wir haben zum Beispiel am Samstagmittag ein Lunchkonzert um 13 Uhr, kostenlos 40 Minuten neue Musik. Dort findet sich Woche für Woche ein Publikum ein. Mal sind es nur 30, mal sind es 60 oder 70 Leute, die sich dort in diesem Konzert eine knappe Stunde in den Raum setzen. Da sagen wir, das ist die Musikgemeinde, aber es ist natürlich mehr als nur die Musikgemeinde, weil diese Menschen in dem Moment in diesem Raum sitzen und diesen Raum erleben und ihn auf sich wirken lassen.
Dann haben wir natürlich kunstinteressiertes Publikum, das extra wegen der Kunst kommt. Wir haben aber auch von allem etwas, sprich Passantinnen und Passanten. Wir haben Leute, die zufällig reinkommen, und Leute, die irgendwo im Reiseführer gesehen haben, da hängt ein Rubens, und deswegen kommen, aber wir haben natürlich auch Menschen, die das Gebet suchen.
Ich kann mich erinnern, dass Christian Boltanski, den ich Anfang meiner Zeit 2001 betreut habe und mit dem ich die Ausstellung gemacht habe, das so anrührend fand. Aber auch andere, Motoi Yamamoto, der eine ganze Woche ein Salzlabyrinth auf unseren Boden gezeichnet hat, der sprach immer davon, dass ihn das so beeindruckt hat, dass während er da gearbeitet hat, die Tür aufging, jemand hereinkam, sich hinten an die Madonna gestellt und eine Kerze entzündet hat. Oder es hat sich einfach jemand eine Viertelstunde auf eine der zwei, drei Bänke in dem Raum gesetzt, die Stille auf sich wirken lassen – ohne was zu fragen, ohne was zu sagen – und ist dann wieder herausgegangen.
Das macht auch was mit unserem Kunstpublikum, und wie das wahrscheinlich in allen Kölner Kirchen ist, ist es bei uns auch so, dass Leute natürlich zum Gebet kommen.
Das Interview führte Tim Helssen.
Zur Person: Dr. Guido Schlimbach ist seit 25 Jahren ist er an der Kunst-Station St. Peter in Köln tätig. Obwohl er von Haus aus gar nichts mit Kunst zu tun hat, ist er heute der künstlerische Leiter der Kunststation, hatte erstmals einen Lehrauftrag für christliche Kunst an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen und gehört zum Kreis der Referenten am Kolumba Museum. Er begeistert die Kunstinteressierten und KünstlerInnen mit seinem ganz individuellen Zugang zur Kunst.