Vatikanexperte schildert Geschichte der Fronleichnamsprozession in Rom

Rücksicht auf die Rush Hour

Von Verkehrsproblemen bis zu Rangstreitigkeiten: Die römische Fronleichnamsprozession hat eine bewegte Geschichte. Vatikanexperte Ulrich Nersinger erklärt, warum das Fest unter Papst Leo XIV. eine Renaissance erlebt.

Autor/in:
Bernd Hamer
Menschen stehen vor der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom und erwarten den Segen zu Fronleichnam. / © Lola Gomez (KNA)
Menschen stehen vor der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom und erwarten den Segen zu Fronleichnam. / © Lola Gomez ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wer war der Begründer der Fronleichnamsprozession?

Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Autor): Man kann hier eigentlich zwei Päpste nennen. Die Tradition geht zurück auf die Heilige Juliana von Lüttich, eine Ordensfrau, die eine Vision hatte, aus der das Fronleichnamsfest hervorgegangen ist. 

Diese Vision wurde damals von einem Erzdiakon von Lüttich untersucht, der später Papst Urban IV. wurde. Er wollte das Fest für die gesamte Kirche einführen, starb jedoch, bevor das geschehen konnte. Papst Johannes XXII. führte es dann im Jahr 1317 offiziell für die Weltkirche ein.

DOMRADIO.DE: 700 Jahre gehen wir in der Betrachtung zurück. Warum hat die Prozession denn an einem Sonntag stattgefunden?

Nersinger: In Italien ist Fronleichnam kein staatlicher Feiertag – lediglich ein kirchlicher. Um die Stadt Rom am Donnerstag nicht lahmzulegen, insbesondere wegen der Prozession von der Lateranbasilika bis nach Santa Maria Maggiore. Weil die durch zentrale Straßen wie die Via Merulana führt, hat man beschlossen, das Fest auf den darauffolgenden Sonntag zu verlegen. So lässt sich der Verkehr besser steuern, und mehr Menschen können teilnehmen.

Ulrich Nersinger

"Im Grunde aber eine sehr charmante Verwechslung."

DOMRADIO.DE: Also wäre sonst Verkehrschaos vorprogrammiert. Die Fronleichnamsprozession ist eine sehr prächtige Veranstaltung. Wer geht da alles mit?

Nersinger: : Früher war der gesamte Päpstliche Hof beteiligt – Kardinäle, Erzbischöfe, Prälaten. Aber auch viele „normale“ Gläubige nahmen teil, besonders die zahlreichen Bruderschaften Roms. Die tragen oft traditionelle und manchmal recht auffällige Gewänder. 

Ich erinnere mich an eine Prozession, bei der Mitglieder der Erzbruderschaft vom Campo Santo Teutonico mitgegangen sind. Ein Zuschauer meinte dann, dass es doch toll sei, dass auch so viele evangelische Geistliche mitliefen – er hatte sich aber geirrt. Das waren keine evangelischen Geistlichen. Ihre schwarzen Gewänder und ihre beffchenähnlichen Kragen haben ihn in die Irre geführt. Im Grunde aber eine sehr charmante Verwechslung.

DOMRADIO.DE: Ist der Weg der Prozession heute eigentlich noch derselbe wie früher?

Nersinger: Nein, ursprünglich führte die Prozession über den Petersplatz, unter den Kolonnaden hindurch – sehr prachtvoll. In neuerer Zeit, besonders im 20. Jahrhundert, hat man den Ablauf geändert. 

Heute beginnt sie an der Lateranbasilika, wo auch die Messe gefeiert wird, und endet an Santa Maria Maggiore, wo der eucharistische Segen gespendet wird.

Ulrich Nersinger

"Dabei kam es regelmäßig zu Streitigkeiten um die Rangfolge, wer vor wem geht."

DOMRADIO.DE: Gab es im Lauf der Zeit noch weitere besondere Vorkommnisse oder Änderungen rund um die Prozession?

Nersinger: Ja, einiges. Da das Fest früher auch ein offizielles Ereignis am Päpstlichen Hof war, nahmen auch Botschafter verschiedener Nationen teil. Dabei kam es regelmäßig zu Streitigkeiten um die Rangfolge, wer vor wem geht. 

Das führte teils zu heftigen Spannungen, die den Ablauf der Prozession gefährdeten. Und da der Papst nicht immer in der Lage war, das Allerheiligste den ganzen Weg zu tragen, entwickelte man eine spezielle Vorrichtung: den Talamo, ähnlich der Sedia gestatoria, dem  Tragesessel der Päpste. So konnte der Papst auf ihm sitzen und es sah dennoch aus, als ob er vor dem Allerheiligsten kniete. Solche Apparaturen unterstrichen den festlichen Charakter.

Ulrich Nersinger

"Das liegt sicher auch an seiner körperlichen Konstitution – er wirkt ja noch sehr sportlich."

DOMRADIO.DE: Also auch ein gewisser technischer Einfallsreichtum. Papst Franziskus war ja kein großer Freund der Fronleichnamsprozession – da ist die Tradition etwas eingeschlafen. Wie ist es denn nun bei Papst Leo XIV.?

Nersinger: Leo XIV. scheint dafür sehr aufgeschlossen zu sein. Er hat wohl sofort zugestimmt, als man ihm den Vorschlag machte. Das liegt sicher auch an seiner körperlichen Konstitution – er wirkt ja noch sehr sportlich. Egal, ob er zu Fuß geht oder, wie Benedikt XVI. oder Johannes Paul II. teilweise, auf einem Wagen mitfährt.

DOMRADIO.DE: Was könnte es denn grundsätzlich bedeuten, dass Papst Leo der Fronleichnamsprozession wieder mehr Bedeutung beimisst?

Nersinger: Ich denke, er zeigt eine große Offenheit für solche Traditionen – mehr als Franziskus – ohne dabei provozieren zu wollen. Er geht mit einer gewissen Gelassenheit und Souveränität an solche Dinge heran, was man auch in den letzten Wochen bei ihm bemerkt hat. Das verleiht der Tradition ein neues, glaubwürdiges Gewicht.

Das Interview führte Bernd Hamer.

Fronleichnam

Am zweiten Donnerstag nach Pfingsten feiert die katholische Kirche das Fest Fronleichnam. Der Name bedeutet übersetzt so viel wie "Fest des Leibes und Blutes Christi". Er leitet sich ab aus dem Althochdeutschen. Dabei steht "vron" für "Herr" und "licham" für "Leib".

 © Beatrice Tomasetti (DR)
© Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR

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