DORMADIO.DE: Warum ist Josef Roters ins Visier der Nazis geraten?
Brigitte Jünger (Journalistin und Autorin für den Pfarrbrief St. Agnes): Das ist eine interessante Geschichte, Josef Roters war nämlich kein Jude, sondern katholisch und führte eigentlich ein ganz normales bürgerliches Leben in Köln. Er war Mitinhaber des Bankhauses Prym und Co.
In Konflikt mit den Nationalsozialisten in Köln geriet Josef Roters irgendwann in den 1930er-Jahren. Als Geschäftsführer des Bankhauses Prym hatte er Johanna Grohé, der Frau des Kölner Gauleiters Josef Grohé, einen Kredit gewährt. Für so einen Kredit werden Zinsen vereinbart. Als es jedoch um die Rückzahlung dieses Kredits ging, wollte Frau Grohé den nicht zum vereinbarten Zins zurückzahlen, sondern verlangte eine Sonderkondition, einen niedrigeren Zins. Josef Roters lehnte das ab.
DOMRADIO.DE: Was war daran aber problematisch?
Jünger: Der Mann von Johanna Grohé war der Gauleiter Josef Grohé und einer von den ganz üblen Nazis. Er war schon in den 1920er-Jahren in Köln als aggressiver Rechtsradikaler aufgefallen, der wirklich keine Saalschlacht ausließ und Gegner auch noch in seiner Zeit als Gauleiter mit Fäusten attackierte, wenn ihm danach war oder wenn sie nicht so spurten, wie er sich das vorstellte.
Er war auch lange Redakteur des Westdeutschen Beobachters und das war die demagogische Zeitung der NSDAP, die gegen Juden, Kommunisten und andere unliebsame Gegner hetzte. Das betraf irgendwann auch Josef Roters, den Geschäftsführer des Bankhauses Prym. Als sich Josef Roters weigerte, diesen verminderten Zins anzuerkennen, das war eine öffentliche Schmutzkampagne in eben dieser Zeitung. Herr Roters wurde daraufhin diffamiert und verunglimpft, völlig unabhängig von dem Bankgeschäft, um das es eigentlich ging.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Josef Rothers hat im Endeffekt mit seinem Leben allein dafür bezahlt, dass er nicht vor der Frau einer Nazi-Größe kuschen wollte?
Jünger: Ganz genau. Er hat sich zunächst versucht, gerichtlich gegen diese Verleumdungen zu wehren, hatte aber in diesem nationalsozialistischen Staat, in dem Bürgerrechte keinen Wert mehr hatten, wenig Erfolg. 1937 wurde er verhaftet und ins KZ Buchenwald gebracht. Dort ist Josef Roters dann 1942 unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen.
Das (die Schmutzkampagne, d. Red.) erinnert zum Teil an Praktiken, die heute auch gang und gäbe sind, dass Menschen mit Fake News verunglimpft werden und es sehr schwer ist, sich dagegen zu wehren, wenn dann auch noch ein Staat dahinter steht, der das zulässt.
DOMRADIO.DE: Weil Josef Roters in der Riehler Straße Nummer 49 gelebt hat, wird dort jetzt zur Erinnerung an ihn ein Stolperstein verlegt. Wer hat das angestoßen?
Jünger: Das Patenkind des Sohnes von Josef Roters. Die Dame heißt Ursula Engels. Sie hat die ganze Geschichte recherchiert und auch die Patenschaft für diesen Stolperstein übernommen.
DOMRADIO.DE: Warum jetzt? Warum hat Ursula Engels über 80 Jahre nach Josef Roters gewaltsamem Tod diese Patenschaft für einen Stolperstein übernommen?
Jünger: Ich denke, sie fand es sehr wichtig, dass gerade heute, wo an so vielen Stellen ganz ähnliche Sachen passieren, wieder auf diese Vergangenheit hingewiesen wird, inklusive der fürchterlichen Folgen, die das dann am Ende hat.
DOMRADIO.DE: Joseph Rothers lebte damals im Agnes-Viertel, also im Gebiet der Pfarrgemeinde St. Agnes. Aber es gibt noch einen anderen, nicht so schönen Bezug zur Agneskirche.
Jünger: Nach dem Tod von Josef Roters ist er in Buchenwald verbrannt worden, und die Nazis haben seine Asche der Familie zukommen lassen. Und die hätte natürlich gerne die Überreste beerdigt. In der Pfarrei St. Agnes war aber der zuständige Pfarrer nicht bereit, diese Beerdigung auf dem Melaten-Friedhof zu vollziehen.
Das hatte zum einen damit zu tun, dass Verbrennungen zu dieser Zeit in der katholischen Kirche überhaupt nicht üblich und nicht anerkannt waren. Und es hatte auch damit zu tun, dass die offizielle Kirche ziemlich herumlaviert hat, was eine eindeutige Positionierung gegenüber den Nazis anging.
DOMRADIO.DE: Wie und warum konnte Josef Roters am Ende doch noch auf Melaten beerdigt werden?
Jünger: Das ist dem mutigen Einsatz einiger Gemeindemitglieder zu verdanken. Frau Engels, die das recherchiert hat, konnte nicht ganz genau herausfinden, wie es dazu gekommen ist. Ich kann mir aber vorstellen, dass es eine Person aus dieser Gemeinde war, die daran großen Anteil hatte.
In dieser Zeit gab es einen Kaplan, Hans Falks. Weil er unglaublich stotterte, hatte er schon ein bisschen eine Außenseiterposition. Aufgrund dessen konnte er aber Dinge tun, die der Hauptpfarrer eben nicht machte. Er hat jüdische Menschen unterstützt und ich kann mir vorstellen, dass er auch in diesem Fall dafür gesorgt hat, dass die Beerdigung von Josef Roters auf dem Melaten-Friedhof stattfinden konnte.
DOMRADIO.DE: Was lehrt uns das Schicksal des Josef Roters?
Jünger: Ja, es lehrt uns vor allen Dingen, aufmerksam zu bleiben darauf, wo Unmenschlichkeit herrscht und sich breit macht, ohne dass es sofort in aller Deutlichkeit merkbar ist. Es ist wichtig, dagegen seine Stimme zu erheben. Ich glaube, das ist nach wie vor ein sehr großes Thema.
DOMRADIO.DE: Warum sind die Stolpersteine gerade heute so wichtig, wo der Holocaust, jedenfalls zeitlich gesehen, in immer größere Ferne rückt?
Jünger: Es sind kleine 10 x 10 cm große Einlassungen im Boden, die uns "stolpern" lassen und immer wieder darauf aufmerksam machen, was in dieser Zeit passiert ist – und eben nicht nur mit Juden, sondern auch mit anderen Menschen, wie einem katholischen Geschäftsführer einer Bank, der sich dem System widersetzte. Oder Sinti und Roma, Homosexuelle, alle diese Menschen, die in der Nazi-Zeit verfolgt wurden, diese Geschichte ist nach wie vor anwesend.
Das Interview führte Hilde Regeniter.