DOMRADIO.DE: Sie haben vor ein paar Jahren ein Buch über Dietrich Bonhoeffer geschrieben. Was fasziniert Sie an seiner Lebensgeschichte?
Klaus Pfeffer (Generalvikar des Bistums Essen): Ich habe Dietrich Bonhoeffer in meiner Studienzeit kennengelernt und war ganz fasziniert, einen Theologen zu erleben, der Theologie sehr lebensnah vermittelt. Einer, der immer danach fragt, wie ich das, was ich von Gott, von Jesus, aus dem Evangelium verstanden habe, für mein ganz konkretes Leben übersetzen kann.
Danach hat er sein ganzes Leben ausgerichtet und ist einen sehr individuellen, starken Weg gegangen. Das hat mich fasziniert, weil ich damals im Studium häufig Theologen hatte, wo ich dachte, dass alles ziemlich trocken und fern vom Leben ist. Bonhoeffer hat mich gepackt, weil sein Glaube sein ganzes Leben geprägt hat.
DOMRADIO.DE: Können Sie versuchen, diesen individuellen Weg von Dietrich Bonhoeffer zu beschreiben?
Pfeffer: Das Faszinierende ist, dass Bonhoeffer überhaupt nicht in einem kirchlichen Kontext groß geworden ist. Er war Kind einer bürgerlichen, evangelischen Familie, die zwar irgendwie evangelisch war, aber überhaupt nicht praktizierte. Sein Vater und seine Geschwister waren ganz überrascht, als er auf die Idee kam, Pastor werden zu wollen und Theologie zu studieren.
Es hat ihn offensichtlich etwas Inneres angezogen und so hat er studiert, war sehr intellektuell, hat sehr schnell in frühen Jahren promoviert und habilitiert. Er hat mit sich gerungen, ob er Wissenschaftler oder Seelsorger werden will. Beides hat ihn angezogen. In der Auseinandersetzung mit der Entwicklung in Deutschland hat er schnell wahrgenommen, dass etwas nicht stimmt, als der Nationalsozialismus aufkam.
Er war sehr wach, dass seine evangelische Kirche das überhaupt nicht erkannte. Er ging in den Kirchenkampf und gründete die "Bekennende Kirche" mit. Am Ende landete er im politischen Widerstand. Das ist jetzt sehr gerafft, aber zeigt, welch einen Weg er gegangen ist – zunächst sehr persönlich, dann sehr kirchlich. Zuletzt ging es daran, sich tatsächlich politisch in den Widerstand zu begeben.
DOMRADIO.DE: Bonhoeffers Leben ist gerade schon zum zweiten Mal verfilmt worden. Auf den Filmplakaten in den USA war er mit Pistole abgebildet. Das hat zu großen Kontroversen geführt. Sie haben sich auch dazu geäußert. Wie gehen Sie mit dieser Sichtweise um?
Pfeffer: Das mit der Pistole in der Hand, fand ich völlig absurd. Ohnehin finde ich es schwierig, Bonhoeffer einfach als Widerstandskämpfer zu titulieren. Man erhält den Eindruck, er wäre selber konkret an Attentaten beteiligt gewesen. Bonhoeffer war jemand, der über seinen Schwager Hans von Dohnanyi in Kontakt kam mit den Menschen, die im militärischen Widerstand aktiv waren. Seine Aufgabe war vorrangig, diesen Menschen in ihrem Gewissenskonflikt zu helfen und ihnen innere Grundlagen zu geben.
Was die machten, war ja wirklich, das eigene Land zu verraten, sich an einem Umsturz zu beteiligen und zu wissen, dass dabei aller Voraussicht nach auch unschuldige Menschen sterben werden. Um diesen zu Konflikt bewältigen, war Bonhoeffer vor allem als Theologe und Ethiker gefragt.
Dann hat er aber auch selber einige Dienste übernommen, weil er seine internationalen Kontakte, die er kirchlicherseits hatte, zu nutzen versuchte, um Kontakt zu den Alliierten aufzunehmen. Die wollte er darüber informieren, dass es auch ein anderes Deutschland gibt als das rein braune nationalsozialistische Deutschland.
DOMRADIO.DE: Dietrich Bonhoeffer hat sich gegen die Nazis eingesetzt und dafür mit dem eigenen Leben bezahlt. Das war heute vor 80 Jahren. Was hat uns Bonhoeffer heute noch zu sagen?
Pfeffer: Bonhoeffer hat mir als Christ vor allem zu sagen, dass die innere Auseinandersetzung mit Jesus Christus fundamental ist. Das vergisst man schnell, wenn man nur auf den Widerstandskämpfer Bonhoeffer guckt. Er war ein sehr spiritueller Mensch, der tief in seinem Glauben verwurzelt war. Er war sich bewusst, dass ihm nicht allgemeine, plakative Antworten aus der Tradition helfen, sondern dass ich für mich in meiner Situation immer wieder neu darum ringen muss: Was will dieser Jesus mir heute sagen in meiner Situation?
Das ist für unsere Kirchen heute wichtig, das ist für jeden Einzelnen von uns wichtig, dass wir einen persönlichen Glaubensweg suchen, eine persönliche Auseinandersetzung mit unserem Gott und mit unserer Überlieferung, um sie in die Jetztzeit zu übersetzen.
Darüber hinaus macht Bonhoeffer darauf aufmerksam, äußerst wachsam zu sein, auch bei politischen Entwicklungen. Da sind manche Parallelen zu der Zeit zu entdecken, in der Bonhoeffer lebte. Wenn wir gucken, wie verführbar Menschen heute gegenüber Autokraten, Ideologen und Fundamentalisten sind, dann können wir von Bonhoeffer lernen, sehr klar und entschieden auf der Linie Jesu zu bleiben.
Das Interview führte Carsten Döpp.