Karl Rahner war "wie viele akademische Jesuiten etwas unpraktisch", sagt Jesuit Andreas Batlogg, der von 2008 bis 2015 wissenschaftlicher Leiter des Münchner Karl-Rahner-Archivs war. Deshalb erledigte seine Sekretärin, die eigentlich nur mit wenigen Stunden bei ihm angestellt war, praktisch auch seinen Haushalt und Fahrdienste für ihn, so Batlogg.
Ansonsten war Karl Rahner eher ein zurückhaltender, bescheidener Typ. Er sprach nicht gerne von sich. Zu Interviews ließ er sich nur mit einem Restaurantbesuch oder einem Eis überreden, sagt Batlogg. Auch im Hörsaal war der Professor – oder wie er lieber genannt wurde: Pater Rahner – "kein spritziger Typ, kein begnadeter Rhetor". Und doch zählt er zu den bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts.
Geboren wurde er am 5. März 1904 in Freiburg. Dort wuchs er in einer frommen Familie auf. Als Gymnasiallehrer für die Fächer Deutsch, Geschichte und Französisch hatte sein Vater einen großen Einfluss auf Rahners intellektuelle Entwicklung. Inspiriert von seiner katholischen Erziehung und der Jugendbewegung "Quickborn", die von Romano Guardini geprägt war, trat Rahner mit 18 Jahren der Gesellschaft Jesu, dem Jesuitenorden, bei. Damit folgte er seinem älteren Bruder Hugo Rahner, der den Schritt in den Orden bereits drei Jahren vor ihm gemacht hatte.
Die zwölfjährige Ausbildung bei den Jesuiten umfasste damals das Noviziat, ein Philosophie- und ein Theologiestudium, soziale Praxisphasen und Auslandsaufenthalte. Rahner machte während des Studiums Station im österreichischen Feldkirch, im oberbayerischen Pullach und im niederländischen Valkenburg. 1932 wurde er von Kardinal Faulhaber in München zum Priester geweiht.
Da er von seinem Orden für einer Philosophie-Professur vorgesehen war, wurde er 1934 nach Freiburg im Breisgau geschickt. Dort sollte er bei Martin Honecker promovieren. Martin Heidegger, der ebenfalls in Freiburg Philosophie lehrte, kam als Doktorvater nicht infrage, weil er der Ideologie der Nazis zu nahe stand. Trotzdem hat Rahner in wissenschaftlicher Hinsicht viel "von Martin Heidegger gelernt. Wie man denkt, wie man etwas formuliert", sagt Batlogg.
Streit um die Doktorarbeit
Rahners Doktorarbeit mit dem Titel "Zur Metaphysik der endlichen Erkenntnis bei Thomas von Aquin" lehnte Honecker ab, weil ihm seine philosophische Interpretation etwas fremd war. Eine Überarbeitung der Arbeit schloss Rahner allerdings aus, auch weil er sie nicht mehr nötig hatte. Denn in der Zwischenzeit hatte er in Innsbruck eine theologische Dissertation eingereicht. Im Dezember 1936 wurde er promoviert, ein knappes halbes Jahr später habilitiert. Seitdem arbeitete er dort als Dozent für Dogmatik.
1939 veröffentlichte er seine damals abgelehnte philosophische Dissertation unter dem Namen "Geist in Welt". Dieses Werk zählt zusammen mit "Hörer des Wortes" zu den religionsphilosophischen Frühwerken Rahners. Darin kommt er zu dem Ergebnis, dass der Mensch von Natur aus offen für Gott und sein Wort ist. Denn die Wahrheitserkenntnis des Menschen zielt letztendlich auf das Sein selbst. Dieser umfassende Grund, das Sein selbst, ist laut Rahner Gott. Damit ist Gott in jedem Erkenntnisakt des Menschen implizit gegenwärtig. Einfach gesagt: Gott ist in allen Dingen und in allem, was wir tun, zu finden.
Immer wieder zeigte sich bei Rahner eine jesuanisch ignatianische Prägung. So trug seine erste theologische Vorlesung aus dem Jahr 1937 nicht den Titel "De Gratia", wie seine Vorgänger sie nannten, sondern "De Gratia Christi", also übersetzt: über die Gnade Christ. Gnade bezeichnet Gottes Zuneigung zum Menschen, die dazu führt, dass er sich ihm mitteilt. Indem Rahner die Gnade auf Christus zurückführt, bewirkte er eine kleine Revolution in der Gnadenlehre.
Die Neuscholastik und eine Neuorientierung
Denn das damals vorherrschende Lehrsystem, die sogenannte Neuscholastik, hatte eine sehr konservative Ausrichtung. Mit Thomas von Aquin wurde argumentiert, dass alles seine Ordnung hatte und jeder Mensch seinen Platz darin finden sollte. Dieser Denkrichtung zu Folge war Gnade ein verknapptes Gut, das nicht jedem zuteilwurde. Nur Gott allein entschied, wer sie erhielt. Mit Rahner gab es eine Schwerpunktverschiebung: Er begann seine Vorlesung zur Gnade mit dem universellen Heilswillen Gottes. Denn durch die Menschwerdung Gottes ist jeder Mensch grundsätzlich von Gottes Gnade betroffen. Rahner begriff Gnade also nicht mehr quantitativ als abgezähltes Gut, sondern qualitativ: Jeder Mensch erhält so viel Gnade, wie er benötigt.
Das umfangreiche philosophische und theologische Wissen machte Rahner zu einem Ausnahmetheologen. Eine Karikatur beschreibt ihn auch als "theologischen Atomphysiker". Denn nur wenige konnten seine komplexen Ausführungen folgen. Auch seine Schriften zeichnen sich durch seitenlange Bandwurmsätze aus. Und doch war ihm wichtig, zu bedenken: "Das, was im Hörsaal verzapft wird. Welchen Nährwert hat es für das Leben, auch für das Glaubensleben?", sagt Batlogg. Für Rahner musste Theologie auch alltagstauglich und alltagsrelevant sein.
Ein verständliches und gleichzeitig Rahners bekanntestes Zitat stammt aus einem Artikel von 1966: "Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein." Damit macht er deutlich, dass die Zukunft des Christentums von den persönlichen Gotteserfahrungen der Menschen abhängt, "unabhängig von der institutionellen Rückbindung", so Batlogg.
Eine sehr wichtige Rolle spielte Rahner auch beim II. Vatikanischen Konzil. Kardinal König, der damalige Erzbischof von Wien, bat ihn um eine theologische Stellungnahme zu den Textentwürfen für das Konzil. In seinen "messerscharfen Gutachten", so Batlogg, kritisierte Rahner die Wald- und Wiesenphilosophie des Konzils. "Und da hat er Blut geleckt und gemerkt, wenn ich mich da nicht einbringe, dann bewirkt dieses Konzil nichts."
Wichtige Rolle beim Konzil
Noch heute lassen sich Textänderungen von Rahner rekonstruieren, zum Beispiel im Konzilsdokument "Lumen Gentium". Rahner hat dafür gesorgt, dass darin "Christus ist das Licht der Völker" steht und nicht "Die Kirche ist das Licht der Völker". Denn für Rahner war die Kirche immer nur eine "asymptotische Annäherung an das, was mit Reich Gottes gemeint sein könnte", sagt Batlogg. Damit macht er die Kirche nicht überflüssig, aber er relativiert sie.
Als Jesuit ließ er sei ganzes Leben keinen Zweifel an seiner Kirchlichkeit. "Ich kann als katholischer Theologe an keiner Stelle davon absehen davon, was lehrt das katholische Lehramt, aber auf der anderen Seite kann ich das auch nicht einfach papageienartig repetieren", sagt Rahner im Interview mit dem ZDF. Er bemängelt: "Die traditionelle Theologie hat nicht in seltenen Fällen dort, wo man eigentlich noch weiter denken könnte und müsste, erklärt: Hier fängt das Geheimnis an." Rahner war ein Theologe, der sich keinen Gedanken verbieten ließ. "Ich würde sagen, man kann in der Theologie nicht genug, nicht intensiv und nicht mutig und scharf genug denken", sagte er im Interview mit dem ZDF.
Ab 1949 war Rahner Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte in Innsbruck. Dort arbeitete und wirkte er zusammen mit seinem Bruder Hugo Rahner, der dort Professor der Kirchengeschichte war. 1964 übernahm Rahner als Nachfolger Romano Guardinis den Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, später lehrte er bis zu seiner Emeritierung als Professor für Dogmatik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Bis zu seinem Tod im Jahr 1984 verfasste er zahlreiche Bücher und Texte in alle theologischen Disziplinen. Sein Gesamtwerk, das 1995 veröffentlicht wurde, umfasst 32 Bände. Batlogg sagt: "Sein Werk ist sein Leben, sein Leben ist sein Werk."
40 Jahre nach seinem Tod: Spielt Rahner noch eine Rolle in der Theologie? Batlogg sagt: "Also, er ist aus vielen Curricula an der Universität rausgefallen, weil er als zu schwer galt. Jetzt ist vielleicht nicht die Zeit für Rahner, aber ich glaube, die kommt noch. Da hat der ehemalige Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann schon recht gehabt. Er ist ein Mann für übermorgen."