Jesuit Zollner kritisiert deutsche Politik

"Missbrauch wird verdrängt"

Die deutsche Politik ist nach Worten des international tätigen Kinderschutz-Experten Hans Zollner zu zurückhaltend gegenüber den Kirchen. Zollner wirbt nach eigener Aussage seit Jahren für eine Wahrheitskommission.

Autor/in:
Paula Konersmann
 © Francesco Pistilli (KNA)
© Francesco Pistilli ( KNA )

Auf die Frage, ob die Kirchen in Deutschland die Aufklärung von Missbrauch und Vertuschung an den Staat abgeben sollten, sagte er im Interview der "Zeit" (Donnerstag): "Ja. Aber ich bezweifle, dass die Politiker das wollen." Er habe bereits 2020 im Bundestag für eine Wahrheitskommission geworben. Daraus sei "bisher nichts" geworden.

Pater Hans Zollner SJ

Der Theologe und Psychologe Hans Zollner gilt als einer der führenden kirchlichen Fachleute auf dem Gebiet der Prävention von sexuellem Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche.

Hans Zollner / © Romano Siciliani (KNA)
Hans Zollner / © Romano Siciliani ( KNA )

Zollner kritisierte auch die Kirchenoberen: "Die hartnäckige Abwehr und dass man nur zugibt, was sich gar nicht mehr verbergen lässt, liegt oft an der Angst der Bischöfe, persönliche Verantwortung übernehmen zu müssen." Diese Erkenntnis habe er als externer Berater der Missbrauchsstudien für die Erzbistümer Köln und München-Freising gewonnen. Mit Bezug auf die deutschen Bischöfe sagte der Theologe: "Hinderlich ist auch der Glaube, dass man ja von Gott ins Amt berufen wurde und folglich nicht abberufen werden kann, allenfalls vom Papst."

Kirche in "doppelter Krise"

Es seien aber keineswegs nur Bischöfe, sondern auch einfache Gemeindemitglieder, die meinten, man tue der Kirche einen Gefallen, wenn man ihr Bild in der Öffentlichkeit schütze. "Sie verstehen nicht, dass es genau umgekehrt ist: Je mehr man leugnet, desto unglaubwürdiger erscheint die Kirche."

Der Jesuit bescheinigte der Kirche eine "doppelte Krise: die Krise des Missbrauchs und die Krise der Vertuschung". Doch jeder könne etwas dagegen tun, etwa durch Schulungen, wie man sexuelle Übergriffe auf Schutzbedürftige verhindern könne. Wichtig seien Zuhören und Begleiten, aber auch der Mut, Konflikte einzugehen. Er sage daher auch Studierenden: "Scheut euch nicht, die Kirche zu kritisieren! Nur dann können wir sie verändern."

"Vorreiter stets Betroffene"

Generell werde das Thema verdrängt, fügte Zollner hinzu - und zwar von "allen". Auch die Medien täten sich schwer damit, "kontinuierlich dranzubleiben. Und die meisten Menschen, die selbst nicht davon betroffen sind, wehren das Thema als unangenehm und belastend ab." Seiner Erfahrung nach seien die Vorreiter von Aufklärung und Prävention stets Betroffene gewesen.

Hinweise von Kirchenvertretern darauf, dass Missbrauch auch außerhalb der Kirche verbreitet sei, finde er "nicht hilfreich", mahnte der Experte. "Natürlich kenne ich Zahlen wie die, dass im Jahr 2022 eine Kinderschutzorganisation weit über eine Milliarde Versuche im Netz geblockt hat, pädokriminelle Inhalte aufzurufen. Oder dass die WHO warnt, zehn bis fünfzehn Prozent aller unter 18-Jährigen erleiden sexuelle Gewalt. Aber hilft das den Opfern der Kirche? Nein."

Zollner leitet das "Institut für Anthropologie - Interdisziplinäre Studien zu Menschenwürde und Sorge für schutzbedürftige Personen" (IADC) an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Es wurde 2021 in Nachfolge des seit 2012 bestehenden Kinderschutzzentrums gegründet, dessen Leiter Zollner bis dahin war. Der deutsche Theologe und approbierte Psychotherapeut gilt als Experte für die Prävention von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen in der katholischen Kirche.

Quelle:
KNA