Wort des Bischofs

Gott im Anderen sehen

Auch nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens bleiben die Herausforderungen groß, betont Kardinal Woelki. Die Untersuchung sieht er aber als einen Wendepunkt.

 (DR)

"Was ihr für einen meiner geringsten Schwestern oder Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." So sagt es uns Jesus im Matthäusevangelium. Im Gleichnis verstehen die Menschen nicht, wo sie Gott hungrig und durstig erlebt haben sollen. Aber Jesus antwortet: "Was ihr für einen meiner geringsten Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Gott begegnet uns im Nächsten. So sollen wir Christen unsere Mitmenschen anschauen und so mit ihnen umgehen.

Als ich den Bericht der unabhängigen Untersuchung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt angehört habe – und auch noch beim Studium der ersten Seiten – ging und geht mir immer wieder dieses Bibelwort durch den Kopf: Gott im Anderen sehen. Was ist da bloß passiert, dass damals Priester, Verantwortliche, Christen sich mehr um den Ruf der Kirche gekümmert haben, als um das Leid der Betroffenen? Wie konnte es dazu kommen, dass Mitgefühl, dass Empathie fehlte? Dass noch bis vor wenigen Jahren Täter besser wegkamen, und ihre Opfer nicht beachtet wurden? Wo war der christliche Blick: Gott im Anderen sehen?

Ich bin darüber sehr erschrocken. Es wird mir für immer tief eingebrannt eine Mahnung sein. Neben vielen anderen Konsequenzen, die ich aus der Untersuchung ziehen werde, möchte ich deshalb meinen Teil dazu beitragen, dass wir als Christen im Erzbistum achtsam miteinander umgehen. Dass wir im Gespräch bleiben, auch wenn wir anderer Meinung sind. Dass wir zusammen um den richtigen Weg ringen, denn es kann nicht mehr so bleiben wie es war. Wir haben große Herausforderungen, die vor uns liegen. Die Untersuchung, die ist kein Abschluss. Sie markiert so etwas wie einen Neubeginn. Aber wir haben dafür auch die besten Voraussetzungen, wenn wir Gott im Anderen sehen.

 

Ihr
Rainer Woelki
Erzbischof von Köln


Quelle:
DR