Christoph Driessen über 'Die Geschichte Belgiens'

Unser unbekannter Nachbar

Hätten sie gedacht, dass Gent im Mittelalter größer war als London? Oder wußten sie, dass Belgien die älteste Börse der Welt hat? Ziemlich gut Fußball spielen können sie. Und sie sind zerstritten - zwischen Flamen und Wallonen. Aber was wissen wir sonst über Belgien? Christoph Driessen hat ein Buch geschrieben, das uns auf liebens- und lesenswerte Weise Belgien näherbringt.

Dr. Christoph Driessen / © Greven Verlag
Dr. Christoph Driessen / © Greven Verlag

Belgien sei ein Labor Europas, sagt Christoph Driessen. "An Belgien kann man sehen, dass man die Interessen verschiedener Kulturräume und Sprachen ausgleichen kann. Belgien hat Flandern und Wallonien ein hohes Maß an Autonomie gegeben. Das ist richtig gewesen, denn so kann das Land beieinander gehalten werden". Natürlich gibt es auch in Belgien Probleme. Chaotisch und schmuddelig sei das Land, heißt es, eine Brutstätte des IS-Terrorismus sei besonders Brüssel, dort der Multi-Kulti-Stadtteil Molenbeek. "Natürlich hat es das gegeben", sagt Driessen, "aber Belgien unternimmt da auch viel. Es gibt zahlreiche Projekte. Da werden Jugendliche aus sozialen Brennpunkten in Fußballvereine geholt, Jobs werden ihnen vermittelt". Und dann verweist Driessen auf die erfolgreiche belgische Nationalmannschaft, die bei der WM den dritten Platz belegt hat. Viele Spieler in dem multikulturellen Team kommen aus eben jenen Vereinen, die Sozialarbeit in sozialen Brennpunkten leisten.

Die flandrische Tuchindustrie war führend in der Welt

In seinem Buch 'Geschichte Belgiens / Die gespaltene Nation' zeigt uns Christoph Driessen ein Belgien, wie wir es nicht kennen. Unterhaltsam entführt er uns in die schillernde Geschichte des Landes. "Es ist in Deutschland weitgehen unbekannt, was Belgien für eine großartige Geschichte und Kultur hat", schwärmt er. "Nur ein Beispiel - Maler wie Jan van Eyck, Peter Paul Rubens oder Anthonis van Dyck werden oft Holland zugeschlagen. Das sind aber Maler, die im späteren Belgien gelebt haben". Im Mittelalter war Belgien eines der blühenden Länder der Welt und genauso bedeutend Italien oder Spanien. "Ein Beispiel – die größte deutsche Stadt mit weitem Abstand war damals Köln mit 40tausend Einwohnern. Gent hatte 64tausend Einwohner und es gab noch mehrere sehr, sehr große Städte", erzählt Driessen. "Die flandrische Tuchindustrie war absolut führend. Dadurch wurde das Land ein dermaßen verstädterter Raum, der bedeutender war als Oberitalien". So wurde unter anderem damals in Brüssel auch die Börse erfunden, benannt nach Robrecht van der Buerse I., der dort ein Gästehaus hatte, das sich zu einem Umschlagplatz für Wirtschaftsnachrichten entwickelte.

Knuffelen für Belgien

Belgien ist ein erzkatholisches Land. Das war nicht immer so. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts war Belgien protestantisch, genauer gesagt calvinistisch. Dann eroberte der katholische Feldherr Alexander Farnese unter dem Schutz der spanischen Truppen Belgien. Für die Calvinisten hieß das: entweder ihr werde katholisch oder ihr verschwindet. Die meisten Calvinisten flohen. "Das war eine der größten Völkerwanderungen der frühen Neuzeit", sagt Driessen. "Die Calvinisten sind teilweise nach England gegangen, teilweise nach Deutschland, Frankfurt zum Beispiel. Ganz besonders viele sind nach Holland gegangen. Dadurch wurden die nördlichen Niederlande ein protestantisches Land und Belgien katholisch". Allerdings, auch das betont Christoph Driessen, liberal katholisch, also ähnlich wie im Rheinland gelassen katholisch.

'Geschichte Belgiens / Die gespaltene Nation' hat Driessen sein Buch genannt. Aber, so zeigt er in dem Buch auf, so gespalten zwischen Flamen und Wallonen ist das Land gar nicht. Die beiden Landesteile seien weit davon entfernt, sich zu trennen und eine Unabhängigkeit zu fordern. Und so heißt das letzte Kapitel in dem Buch auch Knuffelen für Belgien. "Da gab es einmal eine Aktion an der Universität Löwen, da haben sich flämische und wallonische Studenten geknuffelt, also gedrückt, geherzt, geküßt, um deutlich zu machen, wir müssen ein Land bleiben, weil das gerade das Besondere an Belgien ist, dass dort verschiedene Kulturräume, verschiedene Sprachen zusammenkommen. Wir wollen hier nicht auf diesen nationalistischen Kurs gehen und ein unabhängiges Flandern fordern".


Quelle:
DR