Das Grab als kleiner Garten

Gedenkemein

Das Grab mit Blumen zu zieren ist eine Tradition, die weit zurück reicht in die Geschichte des Menschen. Und immer wieder neu stellt sich die Frage, wie man ein Grab gestalten und bepflanzen sollte. Denn eigentlich ist es ja ein kleiner Garten.

Grab Elias Canettis in Zürich / © St.Q.
Grab Elias Canettis in Zürich / © St.Q.

Pflanzen begleiten die Menschen seit Urzeiten, sie bieten Schutz, liefern Brenn- und Baumaterial, sind vor allem auch Nahrung und Heilkraft und sie betören die Sinne. So ist es verständlich, dass man schon in prähistorischer Zeit den Verstorbenen Pflanzen mitgab auf den Weg ins Totenreich und in die Ewigkeit.

Die ältesten Friedhöfe, die in israelischen Höhlen entdeckt wurden, sind mehr als 10.000 Jahre alt. Jetzt im Sommer wurden in der Rakefet-Höhle Gräber gefunden, die mit Blumen gestaltet waren. Die Innenwände der Gräber waren mit Schlamm und blühenden Blumen verkleidet. In noch älteren Gräbern im Gebiet des heutigen Irak ließen sich Heilkräuter nachweisen als Grabbeilage.

Individuell und trotzdem pflegeleicht

Seit Menschengedenken gestalten Angehörige die Gräber der Toten. Und meist soll das Grab auch von dem Verstorbenen erzählen. In unserer Zeit erscheint so manches Grab zwar nicht schmucklos, aber doch einfallslos, weil gerade die Bepflanzung sehr einheitlich ist. Aber muss im Sommer auf allen Gräbern die Begonie leuchten? Oder im Winter das Stiefmütterchen? Gräber lassen sich durchaus individuell gestalten, vielleicht kann man sogar den Blumen-Vorlieben des Toten nahekommen, ohne dass die Pflege des Grabes zu aufwendig wird. Wer das Grab geschickt mit wiederkehrenden Stauden und zugleich mit Bodendeckern bepflanzt, wird staunen, wie pflegeleicht es sein kann.

Wichtig ist vor Beginn der Grabbepflanzung, dass man sich über die Lage des Grabes im Klaren ist: Wie sonnig, wie schattig liegt es? Wie lehmig oder sandig ist der Boden? Bekommt ein Grab Schatten ab, passt als Bodendecker zum Beispiel das "Gedenkemein". Blau wie ein großes Vergissmeinnicht blüht es im Frühling und deckt mit seinen grünen Blättern das Grab übers Jahr ab. Ein traditioneller Bodenecker ist das Efeu, das Unkräuter fernhält, aber auch gern übers Grab hinaus wächst und deshalb beschnitten werden muss. Viel graziler, aber genauso praktisch, kommt die Elfenblume oder Sockenblume daher.

Solch ein Bodendecker ist die beste Grundlage für eine Grabgestaltung. Dahinein lassen sich dann Zwiebelblumen und Stauden oder auch Gräser pflanzen, die übers Jahr aus den Bodendeckern herauswachsen und auch wieder darin verschwinden. Das Grab wird so zu einem kleinen Garten, der wie von selbst übers Jahr sein Aussehen verändert. Passende Stauden, die in der Größe angemessen sind und nicht zu sehr wuchern, gibt es viele. Und natürlich kann man die Pflanzen nach ihrer überlieferten Symbolik wählen.

Symbolik der Pflanzen

Das immergrüne Efeu steht seit je her für die Ewigkeit. Und weil es Halt braucht, wenn es ranken will, steht es auch für Treue und Freundschaft. Die Rose mit ihren Dornen steht für das Leiden, mit ihrer Blüte aber vor allem für die Sehnsucht nach der ewigen Liebe. Blaue Blumen symbolisieren die Unendlichkeit. Die Kombination von Rot, Blau und Grün gilt im christlichen Glauben als Symbol für die Dreifaltigkeit. Blumen generell stehen für die irdische Schönheit, ihre Blüten aber für die Offenheit gegenüber dem Schöpfergott.

In Gedanken versunken vor den Gräbern kann man all solche Symbolik meditieren. Am verständlichsten ist dabei sicher die Sprache der Stauden, mit ihrem immerwährenden Kreislauf von Aufblühen und Verblühen, vom Werden und Vergehen. Und es ist ja nicht von ungefähr, dass der Allerseelentag mit dem beginnenden grauen November zusammenfällt, der diese Bilder mit den Gefühlen von Sehnsucht, Wehmut und Trauer noch verstärkt.

Aber: Solch ein abwechslungsreicher kleiner Garten, wie es ein Grab sein kann, kann auch Trost sein, gerade weil er auch Freude macht. Oder um es mit Elias Canetti zu sagen, der in seinen Reisenotizen "Die Stimmen von Marrakesch" schreibt:
"Die Friedhöfe in anderen Teilen der Erde sind so eingerichtet, dass sie den Lebenden Freude gewähren. Es lebt viel auf ihnen, Pflanzen und Vögel, und der Besucher, als einziger Mensch unter so viel Toten, fühlt sich davon aufgemuntert und gestärkt."


Quelle:
DR