DOMRADIO.DE: Zwei Jahre nach "Dominus Jesus" ist Ihre Dissertation erschienen. Hat denn die Auseinandersetzung um dieses Dokument auch Ihre Arbeit damals beeinflusst?
Dr. Alexandra von Teuffenbach (Katholische Theologin): Ja, sie hat mich ein bisschen beeinflusst. Ich war erst erschrocken, als ich gehört habe, da geht es um mein Doktorarbeitsthema. Als ich dann aber gelesen habe, um was es ging und gesehen habe, dass da inhaltlich nicht viel Neues drin steht oder nichts, was meine Doktorarbeit stört, war ich dann wieder beruhigt.
Erinnern kann ich mich im Zusammenhang mit diesem Dokument aber daran, dass einer meiner Professoren, Pater Jacques Dupuis SJ, den ich nicht wirklich mochte, davon sehr betroffen war. Es schien wie gegen ihn geschrieben und führte auch zu Problemen zwischen ihm und meinem Doktorvater Pater Karl Josef Becker SJ, der als Consultor für die Glaubenskongregation arbeitete. Ehrlich gesagt, hatte mich Dupuis’ Vorlesung aber weniger aufgrund des Inhalts als vielmehr wegen des Stils und der Art des Professors gestört. Also es hat mich nicht besonders belastet, dass dieses Dokument herauskam. Nur im ersten Moment war ich erschrocken.
DOMRADIO.DE: In Fragen zur Einheit der Kirche und auch zu ihrer Rolle für das Heil der Menschen stützt sich "Dominus Jesus" vor allem auf das Konzilsdokument "Lumen gentium". Da geht es um die Kirche. Und Sie haben dazu Ihre Doktorarbeit geschrieben. Was sagt denn nun "Lumen gentium" über die Kirche?
von Teuffenbach: In meiner Doktorarbeit geht es eigentlich nur um einen Ausdruck in "Lumen gentium". Und ich würde sagen auch gar nicht den allerwichtigsten, sondern im Grunde ein Nebensatz, in dem es heißt, dass die katholische Kirche die Kirche Christi ist oder diese in der katholischen Kirche verwirklicht ist. "Lumen gentium" sagt sehr viel mehr über die Kirche aus. Im Grunde war das Dokument so gedacht, dass man etwas mehr über die Kirche sagt, nachdem es im Ersten Vatikanum nur um den Papst ging, nur die Unfehlbarkeit definiert wurde. Und deswegen wollte man in "Lumen gentium" auch über die Bischöfe sprechen. Das war das Hauptanliegen und ist auch der Kernpunkt von "Lumen gentium". Und dann dachte man sich, nur über die Bischöfe zu sprechen, sei auch nicht so schön. Also sprach man dann noch über die Laien, über die Priester und über die Diakone und über die Kirche im Himmel und woher die Kirche kommt. Und so ist "Lumen gentium" ein Überblick darüber, was die Kirche ist.
DOMRADIO.DE: Sie haben sich in Ihrer Arbeit vor allem auf die Formulierung konzentriert, dass die einzige Kirche Jesu Christi in der katholischen Kirche "verwirklicht" ist, wie es in der deutschsprachigen Ausgabe heißt. Im lateinischen Text heißt es "subsistit in". Was bedeutet das denn nun? Außerhalb der römischen Kirche keine andere Kirche?
von Teuffenbach: Eigentlich bedeutet es das. Wenn man ein Wörterbuch aufschlägt und "subsistere" nachschlägt, dann findet man die Übersetzung "verwirklicht in" in keinem Lexikon, sondern man findet "bleibt bestehen" oder "bleibt trotz allem bestehen". Das ist die wahre Übersetzung. Die Übersetzung "verwirklicht in" ist sehr unglücklich gewählt und stammt wahrscheinlich aus der allerersten Übersetzung, die in einer Nacht- und Nebelaktion gemacht wurde, damit die Journalisten am Tag der Verkündigung von "Lumen gentium" einen Text haben und nicht das Latein lesen müssen. Da haben damals Ratzinger, Semmelroth und Grillmeier in der Anima [Päpstliches Institut Santa Maria dell’Anima, Seelsorge für deutschsprachige Gläubige und Ausbildungsstätte für Priester in Rom; Anm. d. Red.] ein paar Tage lang das ganze Dokument "Lumen gentium" übersetzt. Und da haben sie dieses Wort mit "hat seine konkrete Existenzform" übersetzt. Also: Die Kirche hat ihre konkrete Existenzform in der katholischen Kirche. Daraus wurde dann ein oder zwei Jahre später bei der offiziellen Übersetzung "verwirklicht in". Aber wenn man ein Wörterbuch aufschlägt, dann steht da "bleibt bestehen" oder "bleibt". Das ist die wahre Bedeutung.
DOMRADIO.DE: Denkt man das konsequent zu Ende, dann sind wir jetzt wieder bei "Dominus Jesus". Da gibt es die Formulierung, dass die kirchlichen Gemeinschaften, die das Weiheamt und die Eucharistie als Sakrament nicht bewahrt haben, "nicht Kirchen im eigentlichen Sinn" seien. Und das hat vor allem evangelische Christen sehr stark getroffen. Was sagt denn so eine Formulierung aus?
von Teuffenbach: Für die katholische Kirche ist die Kirche durch das Amt definiert. Ich würde mit Bellarmin [Robert Bellarmin, Jesuit und Theologe im 16. Jh.; Anm. d. Red.] sagen durch den gemeinsamen Glauben, das gemeinsame Oberhaupt, die gemeinsamen Sakramente. Und das ist bei den Protestanten nicht gegeben. Deswegen spricht "Lumen gentium" auch davon, dass in anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften Elemente der katholischen Kirche oder der Kirche Christi sind. Mit der evangelischen Kirche haben wir den größten Teil der Schrift gemeinsam. Das wird lobend hervorgehoben, weil zu der Zeit auch sehr viel Positives ökumenisch geschah und man das Gemeinsame stärker betonen wollte, nicht das Trennende. Aber trotzdem wollte man sagen: Wir als katholische Kirche verstehen uns als die Kirche Christi. In anderen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften gibt es nur Aspekte dieser Kirche Christi. Aber das Amtsverständnis ist der Grund, weswegen den evangelischen Gemeinschaften das Kirchesein abgesprochen wird.
DOMRADIO.DE: Aber Sie können sich schon vorstellen, dass das bei evangelischen Christen zum Beispiel in Deutschland auf Skepsis und Widerspruch stößt.
von Teuffenbach: Ich habe eine evangelische Freundin gehabt, die leider schon verstorben ist. Mit ihr haben wir uns lange unterhalten, auch über die Idee Luthers, keine Kirche, keine sichtbare Kirche zu schaffen, sondern eine Gemeinschaft, die ohne die ganze Hierarchie auskommt. Und wenn man das als Grundidee nachvollzieht, dann ist das eine andere Form von Kirche, eine kirchliche Gemeinschaft. Ich sehe das nicht als herabwürdigend. Ganz im Gegenteil, diese Freundin glaubte vielleicht mehr als ich, wenn man Glauben messen kann. Also ich möchte den Anderen nicht schlecht machen. Das spricht nur über die eigene Identität. "Lumen gentium" ist ja auch kein ökumenisches Dokument, sondern ein Dokument der Kirche, die über sich selbst spricht.
DOMRADIO.DE: Der französische Theologe Alfred Loisy formulierte einmal: "Jesus verkündete das Reich Gottes. - Gekommen ist die Kirche." Wie kann sich die katholische Kirche so sicher sein, dass sie die richtige und wahre ist?
von Teuffenbach: Man müsste es historisch angehen. Vielleicht wäre das die einfachste Erklärung. Die katholische Kirche sieht sich als dieselbe, die sie im Anfang war. Und jede Häresie, jede Abzweigung, wie man das manchmal so darstellt, ist ein Fehler gewesen, und sie behält die Elemente, die die Kirche Christi am Anfang hatte. So ist das am ehesten zu verstehen.
DOMRADIO.DE: Zwanzig Jahre nach "Dominus Jesus" scheint der Staub, den das Dokument aufgewirbelt hat, verflogen zu sein. Andererseits wird die Welt immer pluraler. Kann man denn so einen Absolutheitsanspruch, wie die katholische Kirche ihn vertritt, überhaupt noch aufrechterhalten?
von Teuffenbach: Ich meine, man kann den Absolutheitsanspruch aufrechterhalten. Vielleicht muss man ihn sogar aufrechterhalten, wenn man zur Kirche stehen möchte. Das heißt aber auf gar keinen Fall, dass man die Anderen deswegen schlecht macht. Man kann sogar etwas von ihnen lernen. Aber trotzdem, mir sagte mal ein Firmling: Meine Religionslehrerin sagt, alle Religionen sind gleich gut. Und das Mädchen hat geantwortet: Wenn ich das so meinen würde, würde ich nicht jede Woche zum Firmunterricht gehen. Ich glaube, meine Kirche ist die beste. Das heißt aber nicht, dass ich die Anderen deswegen schlecht finde, sondern nur, dass ich mir die beste herausgesucht habe. In diesem Sinn verstehe ich schon den Absolutheitsanspruch, dass ich sage, ich halte meine Kirche für die Kirche Christi, für die "richtige Kirche". Das heißt nicht, dass ich die Anderen deswegen schlecht mache.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.