Kapuzinerpater kritisiert Spekulationskultur in Sozialen Medien

"Primitiv und hilflos"

Kaum war die Nachricht von einer Attacke eines Mannes mit Axt am Düsseldorfer Hauptbahnhof am Donnerstagabend raus, wurde in den Sozialen Medien heftig kommentiert - und über die Herkunft des Täters spekuliert. Normalität in der heutigen Zeit?

Immer mehr Hasskommentare in Sozialen Medien / © Jens Schulze (epd)
Immer mehr Hasskommentare in Sozialen Medien / © Jens Schulze ( epd )

domradio.de: Bevor die Situation auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof überhaupt annähernd geklärt war, liefen die Sozialen Medien heiß. Da hieß es, dass der Täter Migrationshintergrund haben soll. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Bruder Paulus Terwitte (Kapuzinerpater und Medienexperte): Es sagt aus, dass man immer wieder ratlos ist, wenn man von solchen Taten hört und dann Erklärungen braucht. Die primitivsten Erklärungen sind da im ersten Moment gut genug, um der eigenen Seele eine gewisse Befriedigung zu geben. Gewalt kann man nie verstehen, egal von wem sie ausgeht. Gewalt macht uns auch immer betroffen. Für mich ist es zunächst ein Ausdruck von Betroffenheit in einer tiefen Hilflosigkeit, die leider an den Schwächsten unserer Gesellschaft ausgetragen wird - in diesem Fall denen, die es ohnehin im Moment immer abkriegen.

domradio.de: Wenn seriöse Medien anmahnen, die Faktenlage abzuwarten, werden sie als Lügenpresse bezeichnet. Wie können Medien überhaupt noch berichten? Was sollen sie tun?

Bruder Paulus: Sie sollen vor allen Dingen immer sagen, dass sie nicht mehr berichten können. Je mehr die Medien sagen, dass sie nur von dem berichten, was sie wissen, also nach dem journalistischen Prinzip "ich sage, was ich gesehen und persönlich gehört habe und berichte nichts weiter, was ich vom Hörensagen weiß" handeln, agieren sie nach einem guten medialen Prinzip. All diejenigen, die Hasskommentare verbreiten, waren ja selber gar nicht dabei. Die stellen sich selber das schlechteste Zeugnis aus, denn sie lügen nämlich, weil sie etwas erzählen, das sie nicht gehört oder gesehen haben.

domradio.de: Bundeskanzlerin Merkel und NRW-Innenminister Ralf Jäger wurden in den sozialen Netzwerken als eigentliche Täter beschimpft, die Deutschland nicht vor diesem angeblichen Terrorismus schützen. Die Lage ist anders - aber was soll man gegen diese rechten Botschaften tun?

Bruder Paulus: Als Christen blicken wir nun bald in der Karwoche wieder auf den, den wir auch den "Sündenbock" nennen und den Gott für uns zur Sünde gemacht hat. Das heißt, wir wissen eigentlich, wenn immer etwas Schlimmes in dieser Welt passiert, Menschen dafür verantwortlich zu machen, ist das Dümmste, was man tun kann. Natürlich haben Menschen Verantwortung, aber doch nicht, wenn in China ein Sack Reis umfällt. Aber wenn man merkt, dass man in der Not irgendeine Erklärung braucht, dann sagen wir Christen: Wir schauen zu Christus, der diese Schuld auf sich nimmt und der unser Herz beruhigen will. 

domradio.de: Sie nutzen auch selber die Sozialen Medien. Sind diese denn ein Fluch oder Segen? Wie bewerten sie das?

Bruder Paulus: Ich habe auf Facebook zu meinem eigenen Erstaunen gesehen, dass eine Mutter eines der Opfer das Bild ihres Sohnes, der komatös im Krankenhaus liegt und intubiert wird, veröffentlicht hat. Ich habe dieser Frau geschrieben und sie gebeten, doch bitte dieses Foto wieder zu löschen. Dadurch könnte ihr Sohn ein Leben lang traumatisiert werden. Es ist tatsächlich insofern ein Fluch, dass wir sofort immer unsere Emotionen ohne Vernunft und leider auch ohne Herz und Liebe mal eben rausposaunen. Es besteht auch die Gefahr, dass wir unsere Kultur des Miteinanders verlernen. Insofern sind die Sozialen Medien, wenn ungebremste Emotionen losgelassen werden, Unsoziale Medien, weil sie uns mehr voneinander trennen als dass sie uns zusammenführen.

domradio.de: Einige Menschen haben Angst auf die Straße zu gehen oder sich auf öffentlichen Plätzen aufzuhalten. Was würden Sie denen raten?

Bruder Paulus: Wir gehen einfach raus und gehen aufeinander zu. Es ist viel gefährlicher, in ein Auto zu steigen oder Fahrrad zu fahren, als sich auf einem öffentlichen Platz zu zeigen. Wir sollten aber das, was passiert ist, uns schon zu Herzen nehmen. Das Leben ist einfach unsicher. Keiner hat die Gewissheit, was in den nächsten Momenten passiert. Wir sollten damit rechnen, dass jeder Augenblick der letzte sein kann und uns umso mehr eingeladen wissen, voller Hoffnung einfach wieder einen Schritt nach Draußen zu gehen, auf die Menschen zu und - wer kann - auf Gott zu.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Bruder Paulus Terwitte (KNA)
Bruder Paulus Terwitte / ( KNA )

Beamte eines Spezialeinsatzkommandos am Düsseldorfer Hauptbahnhof / © David Young (dpa)
Beamte eines Spezialeinsatzkommandos am Düsseldorfer Hauptbahnhof / © David Young ( dpa )
Quelle:
DR

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