Es herrscht eine Mischung aus Aufregung und Begeisterung unter den 60 Mädchen und Jungen, die ungeduldig vor dem großen, grünen Tor warten. Als es sich endlich öffnet, erobern die Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren den großen Garten. Die ivorische Ordensschwester Edwige Mobio lässt sich von dem Kinderlärm nicht aus der Ruhe bringen; sie steht entspannt am Tor und beobachtet das bunte Treiben.
Edwige Mobio leitet den sogenannten Friedensclub, der in Abobo, einem dicht bevölkerten Viertel der ivorischen Wirtschaftsmetropole Abidjan liegt. Mit diesem Projekt will sie in ihrem Heimatland, der Elfenbeinküste, schon den jüngsten Bürgern das friedliche Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen, unterschiedlichen ethnischen Gruppen, Reich und Arm beibringen.
Grundstein für Frieden früh legen
Und das geht aus ihrer Sicht spielerisch am besten. Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hat, setzen sich die Kinder in einem Halbkreis um Lazare N'Dri, der zu den sieben Helfern an diesem Mittwochnachmittag gehört. Er zeigt ihnen Bilder von Elefanten und Löwen, ahmt Tierlaute nach. Ein paar Kinder lachen laut auf. "Am Wochenende machen wir einen Ausflug in den Zoo", sagt er und blättert in seinem Tierbuch.
In Westafrika gibt es zahlreiche Friedensinitiativen, die Kinder zusammen bringen - vorwiegend jedoch Schulkinder oder Jugendliche. Für die 45-Jährige Ordensschwester, die selbst Französischlehrerin ist, kann der Grundstein nicht früh genug gelegt werden, vor allem nicht in der Elfenbeinküste.
Zerrissenes Land
Die teuren Stadtteile Abidjans vermitteln zwar das Bild eines Landes im Aufbruch. Das jährliche Wirtschaftswachstum liegt Statistiken zufolge zwischen acht und neun Prozent. Doch gerade Bewohner in den ärmeren Vierteln wie Abobo spüren von einem Aufschwung nichts. Dazu komme die Spaltung, sagt Edwige: "Das Land ist zerrissen, die Menschen leben nicht mehr zusammen." Grund dafür ist der fünfjährige Krieg, der 2007 offiziell beendet wurde. Bereits zuvor hatte eine als "Ivorite" bezeichnete Hetzkampagne gegen Einwanderer und Bewohner, die angeblich keine Ivorer seien, für Spannungen gesorgt. Während der Wahlunruhen Ende 2010, als mit Laurent Gbagbo und Alassane Ouattara monatelang zwei Präsidenten gegeneinander kämpften, flammte die Krise erneut auf. Die Folge: mindestens 3.000 Tote.
Ouattara, der seit seiner Wiederwahl 2015 noch bis 2020 im Amt ist, versprach zwar eine großangelegte Versöhnung. "Aber vonseiten der Regierung ist bisher nichts passiert", sagt Edwige Mobio, die dem Xaviere-Orden angehört. Die kleinen Kinder, die sie betreut, seien zwar nach der Krise geboren worden. Doch viele der Älteren, die die Unruhen miterlebt hätten, seien traumatisiert.
Umgang ohne Vorurteile
Wie allgegenwärtig die Krise noch immer ist, zeigten die Meutereien im Januar. In der Stadt Bouake forderte ein Teil der Armee, der während der Krise für den jetzigen Präsidenten Ouattara gekämpft hatte, Sonderzahlungen in Höhe von umgerechnet 18.000 Euro - eine enorm hohe Summe. Es waren jene Soldaten, die während der Krise zu der Rebellenkoalition Forces Nouvelles (FN) gehört hatten. Ouattara stimmte zu. Die Summe, die offenbar nach der Eingliederung der FN in die ivorische Armee ausgehandelt worden waren, wurde zumindest zum Teil ausgezahlt. Wenig überraschend folgten kurz darauf weitere Meutereien von Soldaten des anderen Lagers. Anschließend gingen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sowie Lehrer in den Streik. Gelöst ist die Situation bis heute nicht.
In Abobo ist davon an diesem Nachmittag nichts zu spüren. Nachdem die Kinder alle Tiere erkannt haben, holt Schwester Edwige kleine Bauklötze. Aufgabe ist es, gemeinsam etwas zu bauen und die Bauwerke der anderen nicht einzureißen. Das klappt gut, nach zwei Stunden sind Kinder und Ordensfrau zufrieden. Die Wörter Krieg, Frieden, Krise oder Versöhnung sind an diesem Nachmittag kein einziges Mal gefallen. Schwester Edwige lacht. Viel wichtiger, als diese Themen konkret anzusprechen, sei es, dass die Kinder ohne Vorurteile miteinander umgingen. Nur so könne die Krise in der Elfenbeinküste irgendwann einmal überwunden werden.