"Gabenzaun" an Hamburgs Hauptbahnhof

Unkonventionelle Hilfe für Obdachlose

Am Gitter eines "Gabenzaunes" lassen sich Kleider- und Lebensmittelspenden befestigen - und von Obdachlosen direkt mitnehmen. Niemand weiß, wer das seltsame Projekt am Hamburger Hauptbahnhof ins Leben gerufen hat. Und wie lange er noch stehen darf auch nicht.

Autor/in:
Frank Berno Timm
Nicht alle Wohnungslosen können ins Hamburger Winterprogramm aufgenommen werden / © Bodo Marks (dpa)
Nicht alle Wohnungslosen können ins Hamburger Winterprogramm aufgenommen werden / © Bodo Marks ( dpa )

"Keine Grenze, keine Zäune, einfach Freunde", steht auf einem Zettel, der im kalten Winterwind am Hamburger Hauptbahnhof flattert. Hier, auf der Ostseite, ragt ein provisorischer Metallzaun über eine kniehohe Mauer auf. Tüten sind daran befestigt und ein paar Zettel. "Hamburger Gabenzaun" nennt sich die Konstruktion. Hier soll, wer keine Bleibe hat, sich mit dem Notwendigsten versorgen können.

"Lieber obdachloser Mensch, bitte nimm, was du dringend brauchst...", steht auf einem Zettel.

Oliver Brusinsky hat ein paar Sachen mitgebracht und in Beutel gepackt, die er am Zaun festmacht. Das Motiv? "Nächstenliebe", ist die einfache Antwort. Ähnliches sagt Julia Meier, die ein paar Augenblicke später ihre Mitbringsel befestigt. "Ich habe sie übrig. Ich habe genug." Zuletzt hat sie für eine Gruppe afrikanischer Lampedusa-Flüchtlinge Sachen gespendet: Taschentücher, etwas zu essen, auch einen Schal und andere warme Kleidung... "Das ist doch besser, als wenn es in irgendeiner Kiste landet".

"Ton gegenüber Obdachlosen rauer"

Klaus Warnow ist seit vergangenem September auf der Straße. Im Moment hat er im Winternotprogramm der Stadt Zuflucht gefunden, das aber nur für die Nacht Erfrierungsschutz bietet. "Wir werden um 9 Uhr rausgeschmissen", berichtet er. "Ich finde das gut", meint Warnow über den Gabenzaun, "davon sollte es noch mehr geben". Zusammen mit Derya Özdemir, die nach eigenen Angaben vor drohender Zwangsverheiratung auf die Straße geflohen ist, kümmert sich Warnow um den Zaun - räumt auf und steckt herausgezogene Kleidung in die Tüten zurück.

Die Not der Wohnungslosen ist groß. Deshalb haben sich zuletzt evangelische Diakonie und katholische Caritas gemeinsam mit einem energischen Hilferuf an die Öffentlichkeit gewandt. Dirk Hauer vom Diakonischen Werk macht deutlich, dass Wohnungslose aus Südost- und Osteuropa, die im Winternotprogramm keine Aufnahme mehr fänden, trotzdem in Hamburg blieben. Offene Gewalt gegen Obdachlose sei unübersehbar, ein kürzlich stattgefundener Brandanschlag gegen einen Schlafenden "nur die Spitze des Eisbergs". Auch der Ton sei "deutlich rauer" geworden. Hauer schätzt, dass sich die Zahl der Obdachlosen in Hamburg seit 2009 verdoppelt hat - das wären dann rund 2.000 Menschen.

Skepsis aus der Politik

Der Gabenzaun am Bahnhof bietet ihnen eine unkomplizierte Hilfe. Die Erfinder wollen anonym bleiben. Sie seien eine Handvoll Hamburger, die bereits seit Jahren ehrenamtlich in der Obdachlosenhilfe arbeiten, erklären sie per Mail. Alle Beteiligten hätten gemeinsam, dass sie den "Kontakt zu diesen wunderbaren und herzlichen Menschen" sehr schätzten, schreiben sie über die Obdachlosen. Der Gabenzaun solle sich zu einem Selbstläufer entwickeln, so ihre Hoffnung.

Die Politik ist dagegen reservierter. Der Bezirk Mitte hat gerade eine Initiative gestartet, mit der das Äußere am Hauptbahnhof aufgewertet und der Eindruck, alles sei vernachlässigt, überwunden werden soll. Immer wieder befasste sich die Bezirksversammlung Mitte, die nur wenige hundert Meter vom Gabenzaun entfernt tagt, mit dem Thema Obdachlosigkeit.

"Ein Gabenzaun ist als Grundgedanke zunächst sehr unterstützenswert", sagt Arik Willner, Chef der SPD-Fraktion in Hamburg Mitte. Man müsse aber schauen, ob nicht "eine zentrale Abgabestelle für diese Spenden sinnvoller sein wird". Sein Kollege Michael Osterburg (Grüne) wird deutlicher: Zwar sei unkonventionelle Hilfe und die Spendenbereitschaft für Hilfebedürftige immer eine gute Sache. Sodann fügt er hinzu: "Die Nutzung des Zauns an dieser Stelle ist aber nicht die optimalste [sic] Lösung." Er findet, dass Obdachlose die rund 20 sozialen Einrichtungen im und um den Hauptbahnhof nutzen sollten.


Quelle:
KNA