Antworten auf eine "nicht beantwortbare Frage"

Wenn eine Zeitung wissen will, was Gott ist

Bei Michelangelo ist er ein älterer Herr mit Rauschebart. Doch auf die Frage, was Gott ist, suchen Menschhen seit Jahrtausenden Antwort. Jetzt hat die "Süddeutsche Zeitung" dafür eine Seite frei geräumt.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Kruzifix in der Sixtinischen Kapelle / © Cristian Gennari (epd)
Kruzifix in der Sixtinischen Kapelle / © Cristian Gennari ( epd )

Der 6. Januar ist vielen als Dreikönigstag geläufig, in einigen Bundesländern freuen sich Arbeitnehmer über einen zusätzlichen freien Tag. Der Sternsingerbrauch genießt weiterhin Popularität, auch wenn vielen das "Hochfest der Erscheinung des Herrn", wie es korrekt heißt, nichts mehr sagt.

Was ist Gott?

Für die "Süddeutsche Zeitung" war das offenbar Anlass für eine größere Umfrage unter Kulturschaffenden, Politikern, Kirchenleuten und Freigeistern im Freistaat. Die Zeitungsleute wollten für ihre Feiertags-Doppelausgabe Antworten auf eine aus ihrer Sicht "nicht beantwortbare Frage", die aus drei schlichten Worten besteht: "Was ist Gott?"

Herausgekommen ist ein breit gefächertes Panoptikum, das sich bestens für weitere Diskussionen eignet, am Küchentisch oder im Kollegenkreis. Glaube und Zweifel erhalten Raum, persönliches Bekenntnis bricht sich Bahn neben nüchtern-distanzierter Analyse. Es ist ein Spiegel der pluralen Gesellschaft, aus der Religion nicht einfach verschwunden ist, wie Soziologen noch vor kurzem meinten. Und es widerlegt die Behauptung, dass Menschen zunehmend sprachlos seien, wenn es um Religiöses geht.

Was den einen als Projektion, als "tragischer Hokuspokus" erscheint, gibt anderen bis heute Halt. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ließ dieser Tage bei der Klausur der Bundestagsabgeordneten seiner Partei im Kloster Seeon wissen, er sei mit sich als Parteivorsitzender und Katholik "völlig im Reinen". Die Antwort bezog sich zunächst auf kirchliche Kritik an der Flüchtlingspolitik der CSU. In der "SZ" äußert er sich nun "dankbar dafür, dass ich von klein auf christlich erzogen wurde und einen Bezug zu Gott entwickeln konnte". Dieses Gottvertrauen habe ihm gerade in schwierigen Lebenssituationen Zuversicht gegeben.

Warum lässt Gott Leid zu?

Seehofers Stellvertreterin Ilse Aigner gibt sich überzeugt, dass es Gott mit allen Menschen gut meine. Sie rührt an einer der schwierigsten Fragen, nämlich warum Gott Leid zulässt. Auch ihre persönliche Antwort darauf gibt sie zu Protokoll: "Gläubige Menschen können Krisensituationen besser durchstehen, weil sie Gott haben, der sie nicht alleine lässt und mit dem sie alle ihren Kummer teilen können und der einem immer Kraft gibt." Für sie sei es jedenfalls "ein großer Trost, dass es nach dem Tod weitergeht und wir die, die von uns gegangen sind, wiedersehen".

Der auch in seinen alten Tagen immer noch zornig-anarchische Liedermacher Hans Söllner prangert dagegen den Missbrauch des Wortes "Gott" an. Dies sei heute ein "universeller Erlaubnisschein, all die Verbrechen zu begehen, die wir begehen". In "Gottes Namen" erlaubten sich die Menschen heute, "Teufel" zu sein. Sich selbst nimmt Söllner davon nicht aus.

Der frühere Betreiber der berühmten Passauer Kabarettbühne Scharfrichterhaus, Walter Landshuter, lässt sich hintersinnig mit dem Statement zitieren: "Gott ist eine menschgewordene Idee und wird in einer psychiatrischen Anstalt für Menschen, die sich für Gott halten, behandelt. Leiter dieser Anstalt ist Gott."

Die Bayreuther Hebamme und Mutter Friedrike Engelen verzichtet auf jede Ironie: "Gott ist für mich, wenn eine Frau aus der tiefsten Niedergeschlagenheit heraus, am absoluten Ende ihrer Kräfte den letzten und einzigen Willen in sich in reine Energie umwandelt und aus dieser Kraft heraus ihr Kind mit den letzten Wehen in unsere Welt gebärt." Diesen Augenblick begleiten zu dürfen, erfülle sie stets aufs Neue "mit Ehrfurcht, Dankbarkeit und dem tiefen Wissen von Gottes Anwesenheit".

Gott ist Liebe

Der katholische Passauer Bischof Stefan Oster lädt zu einem Gedankenexperiment ein: "Denken wir Liebe, Liebe schlechthin. Absolute, unbedingte Liebe, die unser Denken maßlos übersteigt. Das ist Gott." Und bringt damit das Zentrum der christlichen Gottesvorstellung zum Ausdruck. Zu dieser gehört aber paradoxerweise auch die Einsicht, dass Gott unverfügbar ist, wie der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm zu bedenken gibt. "Gott definieren zu wollen, wäre ein Widerspruch in sich."

Oder, wie der berühmte Jesuitentheologe Karl Rahner einmal feststellte: "Gott sei Dank gibt es nicht, was sich 60 bis 80 Prozent der Zeitgenossen unter Gott vorstellen."


Quelle:
KNA