Merkel-Biograf zur Beziehung zwischen Kanzlerin und CDU

"Die eingeheiratete Schwiegermutter"

Driften die Chefin und ihre CDU auseinander? Erst das zweitschlechteste Ergebnis bei ihrer Wiederwahl und dann fegt Angela Merkel noch einen Parteitagsbeschluss zur Seite. Wahre Liebe sieht anders aus, meint auch Merkel-Biograf Volker Resing.

Angela Merkel / © Michael Kappeler (dpa)
Angela Merkel / © Michael Kappeler ( dpa )

domradio.de: Wie haben Sie die Kanzlerin auf dem Parteitag erlebt?

Volker Resing (Chefredakteur der Herder Korrespondenz und Merkel-Biograf): Die Kanzlerin war konzentriert. Aber sie hat in ihrer Rede doch sehr um Gefolgschaft geworben und dafür auch sehr persönliche Töne angeschlagen. Es ist ihr nicht wie im vergangenen Jahr gelungen, eine geschlossene Gefolgschaft zu organisieren. Dafür hat dieses Jahr insgesamt zu viel Unruhe gebracht - auch in der Partei. Sie hat gesagt, sie brauche die Parteimitglieder. "Ihr müsst mir helfen", war ihr Ausspruch. Dieser eindringliche Aufruf um Unterstützung ist nicht ganz gelungen. Dennoch geht die Kanzlerin mit 89 Prozent Zustimmung ins Wahljahr. Damit ist sie sicherlich nicht geschwächt, aber einen kleinen Kratzer hat sie schon abbekommen.

domradio.de: Gestern hat der Parteitag noch beschlossen, sich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland geborener, ausländischer Kinder einzusetzen. Passt so etwas denn in das christliche Menschenbild einer Partei mit "C" im Namen?

Resing: Mit dem Etikett "christlich" muss man vorsichtig sein. Natürlich kann man nicht bei einer konkreten politischen Frage der einen Seite das Gütesiegel "christlich" verleihen und der anderen Seite nicht. Das funktioniert nicht. Die Haltung der Kanzlerin ist an dieser Stelle nicht irgendwie christlicher als die Haltung der sehr knappen Mehrheit des Parteitags. Davor würde ich doch warnen. Es geht hier um eine Frage der Option bei Jugendlichen, ob sie sich für einen Pass entscheiden müssen oder nicht. Mit diesem Kompromiss hat sich die Union immer schwer getan. Der Parteitag wollte das nun mit knapper Mehrheit zurückdrehen. Dies wird im Regierungshandeln so nicht passieren. Man merkt, dass in der Partei auch viel Gefühl mitschwingt. Man braucht ein Symbol. Man möchte gegen die heranrückenden Populisten von rechts eine Mauer errichten und auch die mitnehmen, denen die Politik der Kanzlerin weh tut. Deswegen ist das als Signal zu werten.

domradio.de: Bleiben wir doch bei dem Gefühl. Welches Gefühl haben Sie denn? Wird die CDU Angela Merkel den Rückenwind, den sie für einen schweren Wahlkampf braucht, grundsätzlich geben?

Resing: Die Partei will der Kanzlerin insgesamt Rückenwind geben. Das hat man gemerkt. Aber trotzdem tut sie sich schwer. Die Kanzlerin ist noch nie voll und ganz geliebt worden. Sie ist ein bisschen wie eine eingeheiratete Schwiegermutter in der Partei. Sie ist erst sehr spät in die Politik eingestiegen. Angela Merkel hat eine ganz ungewöhnliche Karriere mit ihrer DDR-Biografie gemacht. Sie hat den Einstieg in die Partei dann gefunden, als die Partei nach der Spendenaffäre in einer schweren Krise war. Es ist keine heißblütige Liebe, die die Partei und die Kanzlerin nun seit 16 Jahren verbindet, sondern es ist ein Zweckbündnis, das immer wieder dazu geführt hat, dass man gemeinsam Erfolg hat. Dieser Erfolg schmiedet zusammen und diesen Erfolg will man auch im kommenden Jahr wieder haben. Wenn der Erfolg bei der Bundestagswahl kommt, dann mag man sich auch wieder mehr.

Das Interview führte Verena Tröster.


Volker Resing / © privat
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Quelle:
DR