Gleichbehandlungsgesetz wird zehn Jahre alt

Klageflut nicht eingetreten

Vor zehn Jahren trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Trotz Fortschritten klagen viele Menschen weiter über Diskriminierungen. Gesetz allein reichen nicht, so Justizminister Heiko Maas.

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Christoph Scholz und Birgit Wilke
Ein Mann in einem Rollstuhl an seinem Arbeitsplatz / © Stefan Puchner (dpa)
Ein Mann in einem Rollstuhl an seinem Arbeitsplatz / © Stefan Puchner ( dpa )

Als das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor zehn Jahren nach langem Streit mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen beschlossen wurde, warnten Kritiker vor Klagewellen, Milliardenkosten und einer monströsen Bürokratie. Die Bilanz der Bundesregierung fällt anders aus: Das Gleichbehandlungsgesetz wirkt, so bilanziert es Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bei einem Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Gesetzes am Dienstag in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin.

Der Bundestag hatte das Gesetz nach kontroverser politischer Diskussion im Juni 2006 beschlossen. Es soll danach in Beruf und Alltag vor Diskriminierungen wegen des Alters, einer Behinderung, der ethnischen Herkunft, aus rassistischen Gründen, der Religion oder Weltanschauung und wegen der sexuellen Identität schützen. Dazu gehört die Einrichtung einer unabhängigen Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die beim Bundesfamilienministerium angesiedelt ist.

Diskriminierung hat abgenommen, ist aber noch da

Maas erklärte, die Horrorvision, die einige gehabt hätten, sei nicht Wirklichkeit geworden. So sei die Anzahl der Klagen vor den Arbeitsgerichten überschaubar. Diskriminierung habe dadurch abgenommen, verschwunden sei sie aber nicht. Eine Untersuchung habe etwa festgestellt, dass Bewerber mit einem türkisch klingenden Namen bei gleichen Qualifikationen deutlich häufiger eine Absage erhielten als die mit einem deutsch klingenden Namen. Auch in seinem Ministerium müsse es mehr "Mehmets" und "Aishas" geben, räumte er ein. 

Gesetz gegen Diskriminierung leitete einen Kulturwandel ein 

Zuvor hatte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, das Gesetz als "Meilenstein" im Kampf gegen Diskriminierung bezeichnet. Es habe in vielen Bereichen einen Kulturwandel eingeleitet. Die Zahlen künden nicht von Klagewellen oder Massenmissbrauch, sondern nehmen sich eher zurückhaltend aus. Rund 15.000 Anfragen registrierte die Antidiskriminierungsstelle im vergangenen Jahrzehnt.

Als Beispiele nennt Lüders eine Arbeitnehmerin, der wegen einer Schwangerschaft gekündigt wurde, eine Muslima mit Kopftuch, der eine Zahnarztpraxis die Anstellung verweigerte, eine Familie mit einem behinderten Kind, die ein Kellner aus dem Restaurant wies oder ein schwules Paar, das kein Doppelzimmer im Hotel erhielt.

Insgesamt rund 1.400 Gerichtsverfahren verzeichnet die Datenbank "Juris" zum AGG, davon gut 90 Prozent zum Arbeitsrecht. Für Lüders haben die vergleichsweise niedrigen Zahlen einen Grund: "Wenn Menschen dieses Recht durchsetzen wollen, sind die Hürden oft zu hoch." Darauf weist auch ein unabhängiges Rechtsgutachten hin, das den Gesetzgeber auffordert, Schutzlücken zu schließen und die zugrundeliegenden EU-Richtlinien vollständig umzusetzen.

Viele Betroffene schweigen

Nach Lüders' Erfahrung zögern viele Betroffene, eine Diskriminierung öffentlich zu machen. Sie fürchten bei einer Klage gegen den Vermieter, die Wohnung zu verlieren, oder beim Vorgehen gegen den Arbeitgeber eine Kündigung. Besonders hoch ist die Hemmschwelle offenbar bei sexueller Belästigung. Wenn überhaupt, vergeht oft lange Zeit, bis die Frauen sich zu einer Klage durchringen, so Lüders. Bislang ist nur Belästigung am Arbeitsplatz verboten, nicht aber, wenn etwa ein Vermieter oder Kunde übergriffig wird.

Jede zweite Studentin erfährt sexuelle Belästigung an ihrer Hochschule

Deshalb fordern Experten, das AGG auf alle genannten Lebensbereiche auszuweiten. Sie appellieren an die Bundesländer, den Schutz vor sexueller Belästigung an Hochschulen zu regeln. Jede zweite Studentin kann laut Lüders von einschlägigen negativen Erfahrungen berichten. Für die Gutachter ist die Frist von zwei Monaten, innerhalb derer Betroffene Ansprüche geltend machen müssen, zu kurz. Sie empfehlen sechs Monate. Zudem müsse es die Möglichkeit einer Verbandsklage geben.

Maas sieht nicht nur den Gesetzgeber in der Pflicht. Es müsse auch einen Wandel in den Köpfen vieler Menschen geben. "Eine Muslima mit Kopftuch, ein junger Mann mit einer Kippa oder ein Minarett gehören in Deutschland genauso dazu wie das Läuten der Kirchenglocken", so der Justizminister. Das sei kein Widerspruch zum Grundgesetz.


Bundesjustizminister Heiko Maas / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Bundesjustizminister Heiko Maas / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) / © Steffen Kugler (KNA)
Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) / © Steffen Kugler ( KNA )
Quelle:
KNA