"Der Mönch gehört ins Kloster wie der Fisch ins Wasser", sagt ein altes Sprichwort. Die Realität im Mittelalter sah oft anders aus: Milena Svec Goetschi hat in ihrer Studie rund 1.000 Bittschriften aus dem römisch-deutschen Reich ausgewertet und weitere Quellen aus der Zeit zu Rate gezogen. Eine davon ist die "Mirakel-Erzählung" aus dem 15. Jahrhundert. Sie stammt aus einem Kloster in der Steiermark spielt halb auf der Erde und halb im Fegefeuer - und diente offenbar dazu, potenzielle Ordensflüchtige abzuschrecken.
Die Geschichte: Ein geflohener Mönch irrt herum, hat Hunger und Durst. Dann findet er endlich eine Stadt, wo er Unterschlupf finden kann. Doch er hat sich geirrt: Ein Mann mit einem Flammenschwert und ein zweiter mit einer Lanze stürzten auf ihn zu, an der Lanze klebt noch das Blut von anderen Ordensflüchtlingen. Sie alle werden vor versammelter Mannschaft verflucht und müssen aus einem glühenden Pokal mit kochendem Pech trinken, worauf "ihrer aller Nasen und Ohren Flammen sowie Pech entwich". Vor Furcht kehrt der Franziskaner in sein Ordenshaus zurück und "tat Buße, verbesserte seine Lebensführung ... und verrichtete gute Werke bis ans Ende seines Lebens. Amen."
Die meisten Ordensflüchtlinge blieben weg
So einfach wie bei dem entlaufenen Mönch in der Erzählung war es nicht immer: Die meisten Ordensflüchtlinge blieben weg und kehrten nicht zurück. Die Gründe für die Flucht waren breit gestreut: Bei Männern waren es vor allem Probleme mit dem Gehorsam, Streitigkeiten im Kloster, Handgreiflichkeiten oder der Wunsch, an einer Pilgerfahrt oder einem Kreuzzug teilzunehmen.
Nonnen nannten bei Entlassungsgesuchen nannten am häufigsten Zwang bei der Ablegung der Gelübde und Keuschheitsdelikte - wobei sich, wie die Wissenschaftlerin vornehm formuliert, "die Trennlinie zwischen Affekt und Intention nicht immer scharf ziehen lässt". Weiter unten firmieren Krankheit und Alter und erlittene Kerkerhaft.
Frauen hatten in der Regel einen kleineren Fluchtradius, sie kehrten meist zu ihrer Verwandtschaft zurück. Doch die hatte oft kein Interesse an ihrer Rückkehr – denn die meisten waren ins Kloster gegeben worden, um versorgt zu sein. Außerdem schrieb das Kirchenrecht vor, die Entlaufenen in ihren Konvent zurückzubringen.
Folge der Klosterflucht: Existenzbedrphung
Während heute ein Ausscheiden aus dem Orden mehr als ein persönliches Scheitern gewertet wird - das freilich auch gravierende materielle Folgen mit sich bringen kann -, waren mit der strafbaren Klosterflucht im Mittelalter meist soziale Ächtung und eine echte Existenzbedrohung verbunden, inklusive der Exkommunikation. Die Dunkelziffer derer, so die Autorin, die sich nicht vom Papst persönlich von der Exkommunikation lösen ließen, wie es das Kirchenrecht vorschreibt, sondern die schlicht wieder eingefangen und von Abt oder Äbtissin bestraft wurden, dürfte noch deutlich höher liegen.
Die Strafen variierten je nach Orden, Regel und Schwere des Vergehens. Sie reichten von Degradierung, Verspottung oder Nahrungsentzug bis zu körperlicher Züchtigung und Kerkerhaft, was manchmal auch den Tod nach sich zog. Was die Orden hingegen durchaus mit modernen Unternehmen verbindet: "In der Regel verzeichnen Gemeinschaften, die gegen ihren Willen reformiert wurden, höhere Austrittsquoten als solche, die eine Reform freiwillig annahmen."
Es gab eine legale Alternative
Eine legale Alternative zur Klosterflucht war der sogenannte Transitus (Übergang), also der Wechsel in ein anderes Kloster oder einen anderen Orden. Dabei durfte man bis ins 14. Jahrhundert nur in einen gleich strengen oder strengeren Orden wechseln. Später wurde dies lockerer gehandhabt. Mitglieder von Bettelorden wechselten dann bevorzugt zu den Benediktinern, während etwa die Zisterzienser restriktiv blieben.
Der vielleicht bekannteste Ordensflüchtling, Reformator Martin Luther, stand also keinesfalls alleine da. Die Motive waren bei den Nonnen und Mönchen aber sehr verschieden.