Über lange Zeit brauchten Demografen keine Statistiken, um die religiöse Topographie der Vereinigten Staaten zu beschreiben. Der Bibelgürtel im Süden galt als Hochburg der weißen Evangelikalen, der Nordosten der USA als Heimstatt des Katholizismus, der Mittlere Westen als Bastion protestantischer Volkskirchen und der Westen als buntes Sammelbecken und Inkubator neuer spiritueller Bewegungen.
Neue demoskopische Erhebung
Auch wenn dies der Tendenz nach so bleibt, vollzogen sich über die vergangenen sieben Jahre massive Veränderungen im religiösen Leben der US-Amerikaner. Genau so lange ist es her, seit das renommierte Washingtoner Meinungsforschungs-Institut Pew Research Center zuletzt erhob, welche Einstellung die Bewohner der "Neuen Welt" zu Religion und Kirche haben. Da der offizielle Zensus wegen der strikten Trennung von Staat und Kirche keine Daten aus der Welt der Religion erhebt, fällt den Pew-Demoskopen das Verdienst zu, diese Lücke zu füllen.
Zahl der Nichtgläubigen gewachsen
Das Ergebnis der Befragung von mehr als 35.000 Bürgern zeigt überdeutlich, dass sich die Tektonik in der US-amerikanischen Gesellschaft bewegt. In der Folge erodiert das religiöse Fundament, während die Zahl der an Glaubensfragen nicht Interessierten rapide zunimmt. Seit 2008 verloren die christlichen Kirchen rund acht Prozent ihrer Mitglieder. Sie machen heute nur noch 70 Prozent der Gesamt-Bevölkerung aus. Gleichzeitig wuchs die Zahl der religiös Ungebundenen um 16 Punkte auf nun fast ein Viertel der US-Gesellschaft. Damit liegen sie als Gruppe knapp hinter den evangelikalen Protestanten (26,4 Prozent), aber schon vor den Katholiken (20,8).
Trend zieht sich quer durch die Gesellschaft
"Der Trend ist quer durch die Gesellschaft nachweisbar", fasst der Leiter der Pew-Studie, Alan Cooperman, das Ergebnis zusammen. Betroffen vom Schwund des religiösen Interesses seien alle Gruppen. So verzeichnet der liberale US-Bundesstaat Massachusetts einen Rückgang von zehn Prozent Katholiken, während im konservativen Südstaat South Carolina die Evangelikalen in gleicher Größenordnung abschmolzen.
Offen an "nichts" zu glauben und eine säkulare Sicht auf das Leben zu haben, ist nach Ansicht von Experten vor allem für die junge Generation der sogenannten "Millennials" kein Problem mehr. "Sie fühlen sich bei dem Gedanken nicht unwohl", erklärt John Green, der sich an der Akron-University in Ohio mit dem Wechselspiel von Religion und Gesellschaft befasst.
Mehr christliche Frauen als Männer
Auffälligerweise dominieren Männer mit 57 Prozent die Gruppe der Kirchenfernen, während Frauen mit 55 Prozent die deutliche Mehrheit der rund 175 Millionen Christen der USA ausmachen. Darüber hinaus beobachten die Pew-Forscher eine Abwendung homosexueller Menschen von den christlichen Kirchen. 41 Prozent sagen, sie seien nicht kirchlich gebunden. Ein weitere Befund: Innerhalb der christlichen Kirchen verschoben sich die Gewichte hin zu Gemeinden, die sich als "evangelikal" verstehen.
Kurioserweise trifft das auch auf Katholiken zu, die vermehrt in diese Richtung abwandern. Es entbehre nicht einer gewissen Ironie, schreibt Ed Stetzer in der "Washington Post", dass eine religiöse Bewegung, die ihre Wurzeln tief in der protestantischen Reformation habe, nun 22 Prozent aller modernen US-Katholiken anspreche.
Evangelikale Kirchen tragen zur Polarisierung bei
Der Religionssoziologe Phil Zuckerman warnt jedoch vor falschen Schlüssen. Der Zulauf zu evangelikalen Kirchen fange den allgemeinen Mitgliederschwund nicht auf und trage stattdessen zu einer weiteren Polarisierung bei. Der moralische Rigorismus bei gesellschaftlichen Fragen wie dem Umgang mit Homosexuellen "vertreibt viele Menschen aus den christlichen Kirchen". Dasselbe gelte für die Politisierung der konservativen Gemeinden, die sich an das Programm der Republikaner gehängt hätten. "Das kommt nun wie ein Bumerang zurück", meint Zuckerman.
Und dann gibt es da noch eine Nachricht, die gegen den allgemeinen Trend zu sprechen scheint. Während die christlichen Kirchen in den USA abnehmen, verzeichnen die nicht-christlichen Glaubensgemeinschaften einen leichten Zuwachs. Muslime, Buddhisten und Hindus machen 5,9 Prozent der Bevölkerung aus.