"Kein Kind darf verloren gehen." Diesen Satz stellte die nordrhein-westfälische Ministerin für Schule und Weiterbildung, Sylvia Löhrmann (Grüne), in den Mittelpunkt ihrer "Kanzelrede" am Sonntagabend in der Bonner Kreuzkirche. Dazu hatte das Evangelische Forum die Politikerin, die auch Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist, eingeladen. Sie wählte als Thema ihrer Kanzelrede "Den Kindern gerecht werden" auf der Grundlage der berühmten "Segnung der Kinder" aus dem Markus-Evangelium.
Jesus unterscheidet nicht nach sozialer Herkunft
Für die studierte Pädagogin ist entscheidend, dass Jesus die Kinder nicht nach ihrer sozialen Herkunft unterscheidet, sondern sie ausnahmslos und voraussetzungslos annimmt. Erfreulicherweise geschehe das heute auch in Bonn durch Christen in zahlreichen unterschiedlichen Einrichtungen, so die stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin. Auf der Grundlage des Bibeltextes mit dem vielzitierten Satz "Lasst die Kinder zu mir kommen" ergibt sich für die Ministerin die Frage, wie die Gesellschaft heute Kinder annehmen und sich um sie kümmern soll, um ihnen gerecht zu werden.
"Deutschland darf nicht stehen bleiben"
Immer wieder verweist Löhrmann auf die voraussetzungslose Annahme der Kinder durch Jesus: "Jesus sagt nicht: Lasst die Kinder mit Gymnasialerfahrung zu mir kommen. Oder: Lasst die Kinder ohne Migrationshintergrund zu mir kommen. Oder: Lasst die gesunden Kinder zu mir kommen. Jesus wertet nicht. Er sortiert nicht. Er etikettiert nicht." Im Gegensatz dazu habe man in Deutschland lange Zeit in guter Absicht sortiert, weil man geglaubt habe, nur so den Kindern gerecht zu werden. Doch dabei dürfe man nicht stehen bleiben, so die amtierende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK).
Für Sylvia Löhrmann ist der in Nordrhein-Westfalen gefundene Schulkompromiss zwischen den großen Parteien von entscheidender Bedeutung: Die Kinder und nicht die Strukturen stehen im Mittelpunkt.
Zu den Kindern hingehen
Im 21. Jahrhundert gehe es um bessere Förderung, vor allem aber um gleichberechtigte Teilhabe, um Inklusion. Für die Kirche reiche es nicht, die Kinder zu sich kommen zu lassen. Vielmehr müsse sie zu den Kindern gehen, "auch zu den muslimischen Kindern; zu den Kindern, die in Bildungsarmut aufwachsen; zu den Kindern, die noch nie etwas von Gott gehört haben. Ohne missionarischen Eifer, aber mit dem Willen, ihnen Kraft und Hoffnung zu geben."
Wenn die ganze Gesellschaft die Herausforderung annehme, sich um die Kinder zu kümmern, so bedeutet das laut Löhrmann nicht weniger "als sich um die Zukunft zu kümmern": "Das wiederum stellt uns vor die zentrale Aufgabe, dass wir die, die die Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Welt sind, ins Zentrum stellen, und das sind unsere Kinder." Für die Ministerin, die immer wieder für die Inklusion wirbt, ist das gemeinsame Lernen aller Kinder deshalb so wichtig.
Proteste gegen G8
Darum dürfen Strukturen nicht um ihrer selbst willen aufrecht erhalten werden, "sondern jede Struktur muss sich daran messen, ob sie unseren Kindern und Jugendlichen dient".
Um ein anderes schulpolitisches Thema ging es einer kleinen Gruppe von Frauen, die sich vor der Kreuzkirche versammelt hatte: Sie protestierten mit Plakaten und Unterschriftensammlungen gegen das Abitur nach acht Jahren (G8). Die Ministerin hörte sich die Forderungen geduldig an, ging aber später in ihrer Kanzelrede nicht darauf ein.