Deutschland beendet Entwicklungshilfe für Nicaragua

Demokratische Defizite? Freies Feld für Ortega?

Die Bundesregierung will die direkte Entwicklungshilfe mit Nicaragua einstellen. Grund sei ein Mangel an Demokratie. Ein nicaraguanischer Wirtschaftler hält dagegen: Nur mit Entwicklungshilfe kann Deutschland auf Korrekturen drängen.

 (DR)

Nach den umstrittenen Wahlen in Nicaragua stoppt Deutschland die Entwicklungshilfe für das mittelamerikanische Land. "In Nicaragua werden wir aus der klassischen bilateralen Kooperation aussteigen", kündigte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) im epd-Gespräch an. Grund seien unter anderem eine undurchsichtige Regierungsführung und demokratische Defizite in dem Land, sagte Niebel am Montag (Ortszeit) in Costa Rica zum Abschluss einer fünftägigen Lateinamerika-Reise.



Der nicaraguanische Ökonom Alfredo Acevedo kritisierte den Rückzug Deutschlands. Es sei die Entwicklungshilfe, die es den europäischen Staaten erlaube, einen gewissen Druck auf die Regierung auszuüben. "Indem sie sich zurückziehen, überlassen sie Präsident Daniel Ortega freies Feld". Nicaragua sei extrem arm. "Das sind Mittel, die fehlen", betonte der Mitarbeiter des regierungskritischen und parteiunabhängigen Bündnisses zivilgesellschaftlicher Gruppen "Coordinadora civil". 70 Prozent aller öffentlichen Investitionen Nicaraguas würden mit Entwicklungshilfe finanziert.



Nicht das erste Land, das aussteigt

Niebel sagte, Ausschlag für die Entscheidung hätten die Präsidentenwahlen im November gegeben. Bei der Abstimmung wurde Ortega im Amt bestätigt. Internationale Wahlbeobachter sprachen allerdings von einem intransparenten Verfahren, die Opposition von Wahlbetrug. Niebel sagte dazu: "Es war nicht möglich, demokratische Wahlen durchzuführen. Das macht es uns nicht möglich, auf diese Art und Weise weiter zu kooperieren."



In den vergangenen Jahren haben mehrere Länder Europas die Jahrzehnte währende Kooperation mit Nicaragua eingestellt, zum Teil als Reaktion auf Ortegas zunehmend autoritären Regierungsstil. Ausgestiegen sind unter anderem Schweden, Norwegen, Dänemark, Großbritannien und die Niederlande.



Bereits bestehende Zusagen für Nicaragua würden indes eingehalten, versicherte der Minister. "Wir brechen keine Projekte ab. Wir hinterlassen keine Entwicklungsruinen." Möglich seien auch weiterhin Projekte mit Wirtschaft oder Zivilgesellschaft in Nicaragua. Deutsche Entwicklungsgelder für den nicaraguanischen Staat gebe es hingegen zukünftig nicht mehr.



345 Millionen Euro Entwicklungshilfe

Gemäß Acevedos Berechnungen erhielt Nicaragua im vergangenen Jahr noch 440 Millionen US-Dollar (etwa 345 Millionen Euro) Entwicklungshilfe, nach 600 Millionen im Vorjahr. Das ist das tiefste Niveau seit 16 Jahren. Von Venezuela erhält das Land laut Acevedo 600 Millionen US-Dollar jährlich. Doch das Geld werde am Staatshaushalt vorbei ohne jegliche Kontrolle ausgegeben.



Ortega regierte Nicaragua bereits vom Sieg der sandinistischen Revolution im Jahr 1979 bis zu seiner Abwahl 1990. Seit seiner erneuten Präsidentschaft im Jahr 2007 kritisiert die Opposition zunehmend autoritäre Tendenzen.